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Zweiundachtzigster Brief.
Nargum, persischer Gesandter in Moskau,
an Usbek in Paris.

Es giebt keine Nation auf der Welt, mein lieber Usbek, welche die Tartaren an Ruhm oder an Ausdehnung ihrer Eroberungen übertroffen hätte. Dies Volk ist der wahre Beherrscher des Erdkreises; alle übrigen scheinen nur bestimmt zu sein, demselben zu dienen. Durch Gründung sowohl wie durch Zerstörung bedeutender Reiche hat es sich bethätigt, und zu allen Zeiten hat es seine Gewalt über die Erde hin fühlbar gemacht; in allen Zeitaltern war es die Geißel der Nationen.

Zweimal haben die Tartaren China erobert, und noch jetzt halten sie dies Land unter ihrer Botmäßigkeit.

Sie herrschen über die weiten Gebiete, aus denen das Reich des Moguls besteht.

Als Herren von Persien finden wir sie gebietend, wo einst Cyrus und Gustaspes Vergl. Brief 67, Anm. 113. gethront hatten. Sie haben Moskovien unterworfen. Unter dem Namen der Türken haben sie in Europa, Asien und Afrika unermeßliche Eroberungen gemacht; und noch jetzt herrschen sie in diesen drei Weltteilen.

Blicken wir ferner auf weit hinter uns liegende Zeiten zurück, so finden wir, daß sie es waren, von denen fast alle jene Völker abstammen, welche das römische Reich zum Sturz brachten.

Was sind die Eroberungen Alexanders im Vergleich zu denen Dschingis-Khan's? Dschingis-Khan, eigentlich Temudschin, 1160-1227 n. Chr., mongolischer Eroberer, ein Typus der Barbarei und Zerstörungswut.

Nur an Geschichtschreibern hat es dieser siegreichen Nation gefehlt, um das Andenken an ihre Wunderthaten zu verherrlichen.

Wie viele der Unsterblichkeit würdige Thaten liegen in Vergessenheit begraben! Und von wie vielen Reichen wissen wir nicht, daß sie ihnen ihre Begründung verdanken! Immer nur um ihren augenblicklichen Ruhm besorgt, niemals zweifelnd, daß sie zu allen Zeiten den Sieg behalten werde, hat diese kriegerische Nation nicht daran gedacht, dem Gedächtnis der Zukunft den Ruhm ihrer Vergangenheit zu bewahren.

Moskau, am 4. des ersten Mondes Rebiab, 1715.



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