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Achtunddreißigster Brief.
Rica an Ibben in Smyrna.

Es ist eine Frage von großer Bedeutung für die Männer, ob es vorteilhafter sei, die Frauen ihrer Freiheit zu berauben oder sie ihnen zu lassen. Beide Ansichten scheinen mir Manches für sich zu haben. Wenn die Europäer es für ungroßmütig halten, die Personen, welche man liebt, elend zu machen, so antworten ihnen unsere Asiaten, daß sich die Männer erniedrigen würden, wenn sie dem ihnen von der Natur verliehenen Übergewicht über die Weiber entsagen wollten. Sagt man ihnen, die große Zahl von eingesperrten Frauen sei eine Last; so erwidern sie, daß zehn gehorsame Frauen nicht so lästig seien wie eine einzige, die nicht gehorcht. Wenden wir Asiaten dagegen ein, daß die Europäer mit Frauen nicht glücklich sein können, die ihnen nicht treu sind, so entgegnet man uns, das die Treue, von der wir so viel Aufhebens machen, den Überdruß nicht verhindere, der immer auf die Befriedigung der Leidenschaften folgt; daß unsere Frauen uns zu ausschließlich gehören; daß uns bei einem so ruhigen Besitze weder etwas zu wünschen, noch zu fürchten übrigbleibe; daß ein wenig Koketterie wie das Salz wirke, welches reizt und der Fäulnis vorbeugt. Auch einem weiseren Manne, als ich es bin, würde es vielleicht schwer werden, diese Widersprüche zu lösen; denn wenn die Asiaten klug verfahren, indem sie ihre Unruhe durch geeignete Mittel zu beschwichtigen suchen, so verfahren die Europäer nicht weniger klug, indem sie solche Unruhe gar nicht aufkommen lassen.

Sollten wir auch wirklich als Ehemänner Unglück haben, sagen sie, so würden wir doch immer noch Mittel finden, uns als Liebhaber schadlos zu halten. Damit ein Mann sich mit Recht über die Untreue seiner Frau beklagen könnte, müßte es nur drei Personen in der Welt geben; giebt es vier, so findet jeder, daß für ihn gesorgt ist.

Eine andere Frage ist es, ob das Naturgesetz die Frauen von den Männern abhängig gemacht habe. »Nein,« sagte neulich ein sehr galanter Philosoph zu mir, »niemals hat die Natur ein solches Gesetz gegeben; unsere Herrschaft über die Frauen ist eine wahre Tyrannei; nur darum haben sie uns dieselbe überlassen, weil sie mehr Sanftmut und folglich mehr Menschlichkeit und Vernunft besitzen, als wir; diese Vorzüge, welche ihnen ohne Zweifel den Vorrang verleihen müßten, wenn wir vernünftig wären, haben sie desselben beraubt, weil wir es nicht sind.«

Ist es nun wahr, daß unsere Macht über die Frauen nur eine tyrannische, so ist es nicht weniger wahr, daß sie eine natürliche Herrschaft über uns ausüben, die Herrschaft der Schönheit, die unwiderstehlich ist. Die unsrige besteht nicht in allen Ländern; die Schönheit aber beherrscht die Welt. Warum also haben wir ein Vorrecht? Etwa weil wir die Stärkeren sind? Aber das wäre ja eine offenbare Ungerechtigkeit. Wir wenden allerlei Mittel an, um ihren Mut zu brechen; aber bei gleicher Erziehung würden auch die Kräfte gleich sein. Stellen wir sie einmal mit den Talenten auf die Probe, welche die Erziehung nicht geschwächt hat, und wir werden sehen, ob wir so stark sind.

Wiewohl es unseren Sitten widerstreitet, müssen wir doch einräumen, daß bei den gebildetsten Völkern die Frauen immer großen Einfluß auf ihre Männer ausgeübt haben; er war bei den Ägyptern zu Ehren der Isis, bei den Babyloniern zu Ehren der Semiramis gesetzlich bestimmt. Von den Römern pflegte man zu sagen, daß sie über alle Nationen die Herrschaft führten, aber ihren Frauen gehorchten. Die Sauromaten will ich hier nicht erwähnen, welche thatsächlich unter dem Joche des weiblichen Geschlechts lebten; sie waren zu tief im Zustande der Barbarei, um neben Kulturvölkern genannt zu werden. Historisches und kritisches Material und Nachweise über das Wichtigste zur Litteratur der Frauenfrage findet man bei Roscher (Grundlagen der Nationalökonomie, § 250). Der heftigste principielle Gegner der Frauenemanzipation in Deutschland ist wohl Schopenhauer in seinem berüchtigten Kapitel »Über die Weiber«. Beachtenswert ist Roschers Wort: »Je männlicher die Weiber, desto weibischer werden die Männer.« – Über Polygamie vergl. Brief 115.

Du siehst, mein lieber Ibben, daß ich von der Neigung dieses Landes angesteckt bin, wo man gern immer außergewöhnliche Behauptungen aufstellt und alles bis zum Paradoxen steigert. Der Prophet hat die Frage entschieden und die Rechte des einen wie des andern Geschlechtes bestimmt. »Die Frauen,« sagt er, »sollen ihre Männer ehren, und die Männer sollen ihre Frauen ehren; aber sie haben den Vorzug, eine Stufe höher zu stehen, als die letzteren.«

Paris, am 26. des zweiten Mondes Gemmadi, 1713.



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