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Dritter Brief.
Zachi an Usbek in Tauris.

Wir haben dem Obersten der Verschnittenen befohlen, uns auf das Land zu führen; er wird Dir sagen, daß uns kein Unfall begegnet ist. Als wir über den Fluß setzen und unsere Sänften verlassen mußten, nahmen wir, wie gebräuchlich, in verdeckten Tragkörben Platz; zwei Sklaven luden uns auf ihre Schultern, und wir entgingen aller Beobachtung.

Wie hätte ich, lieber Usbek, das Leben in Deinem Serail zu Ispahan ertragen können, an dieser Stätte, die mir die Sehnsucht täglich mit neuer Heftigkeit erregte, da sie mich unaufhörlich an meine vergangenen Freuden gemahnte? Ich irrte von Gemach zu Gemach, immer Dich suchend und nimmer Dich findend; aber überall begegnete ich einer grausamen Erinnerung an mein fernes Glück. Bald fand ich mich an jenem Orte, wo ich Dich zum erstenmale in meinem Leben in meine Arme schloß; bald an jenem anderen, wo Du den denkwürdigen Streit Deiner Frauen entschiedest. Jede von uns behauptete, daß sie schöner sei als alle übrigen; und nachdem wir alles erschöpft hatten, was die Einbildungskraft an Putz und zierlicher Anordnung der Geschmeide ersinnen kann, traten wir vor Dich hin. Du erblicktest mit Lust die Wunder unserer Kunst; staunend sahst Du, was uns in dem Wunsche, Dir zu gefallen, gelungen war. Aber bald sollten diese geborgten Reize natürlicheren Vorzügen weichen; Du zerstörtest unser ganzes Werk; wir mußten uns jenes Schmuckes entledigen, der Dir lästig geworden war; wir mußten vor Deinen Augen in der Einfachheit der Natur erscheinen. Ich vergaß in diesem Wettkampf alle Scham; ich dachte nur an meinen Ruhm. Glücklicher Usbek! Wie viele Reize stellten sich Deinen Augen dar! Lange irrtest Du von einer bezaubernden Schönheit zur anderen; lange blieb Deine zweifelnde Seele unentschieden; jeder neue Reiz forderte einen Tribut von Dir. In einer Minute wurden wir alle von Dir mit Küssen bedeckt; Deine Blicke drangen neugierig in die verborgensten Geheimnisse; in einem Augenblick ließest Du uns in tausend verschiedene Stellungen übergehen; immer neue Befehle und immer neuer Gehorsam, Ich gestehe es Dir, Usbek, daß eine Leidenschaft, lebhafter noch als der Ehrgeiz, mich wünschen ließ, Dir zu gefallen. Ich sah, wie ich allmählich die Gebieterin Deines Busens wurde; Du ergriffest meine Hand; Du verließest mich wieder; Du kehrtest zu mir zurück, und ich wußte Dich zu halten. Mein war aller Triumph; meinen Nebenbuhlerinnen blieb nur die Verzweiflung. Es schien uns, als wären wir ganz allein auf der Welt; die Außendinge waren nicht länger wert, unsre Gedanken zu beschäftigen. Wollte der Himmel daß meine Nebenbuhlerinnen den Mut gehabt hätten, Zeuginnen aller Deiner Liebesbeweise zu bleiben! Hätten sie meine Seligkeit gesehen, so würden sie den Unterschied gefühlt haben, der zwischen meiner und ihrer Liebe besteht; sie würden erkannt haben, daß, wenn sie auch mit mir um die Schönheit wetteifern konnten, sie sich niemals in der Glut des Empfindens mir zu vergleichen vermöchten. … Aber wohin bin ich geraten? Wohin führt mich diese eitle Erzählung? Es ist ein Unglück, nicht geliebt zu werden; aber die Liebe verloren zu haben, das ist eine Schmach! Du verlässest uns, Usbek, um barbarische Himmelsstriche zu in durchwandern. Wie? Du rechnest es für Nichts, Dich geliebt zu wissen? Ach, Du weißt nicht einmal, was Du verlierst! Ich stoße Seufzer aus, die ungehört bleiben! Meine Thränen fließen, und Du hast nicht die Genugthuung, sie zu sehen! Das ganze Serail scheint Liebe zu atmen, und in Deiner Unempfindlichkeit entfernst Du Dich immer weiter von demselben. Ach, mein lieber Usbek, wüßtest Du doch Dein Glück zu ergreifen!

Fatmehs Serail, am 21. des Mondes Maharram, 1711.



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