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Einundsiebzigster Brief.
Usbek an Zelis.

Ich beklage Soliman's Mißgeschick um so mehr, als es keine Hilfe dagegen giebt; denn sein Schwiegersohn hat sich nur der gesetzlichen Freiheit bedient. Ich finde dies Gesetz sehr hart, da es die Ehre einer Familie der Willkür eines Narren preisgiebt. Mag man auch auf die untrüglichen Merkmale pochen, durch welche die Wahrheit festzustellen sei, heutzutage haben wir diesen veralteten Irrtum überwunden, und unsere Ärzte geben unwiderlegliche Beweise für die Unsicherheit der besagten Kennzeichen. Selbst die Christen betrachten dieselben als chimärisch, obgleich sie in ihren heiligen Büchern unzweideutig aufgestellt sind und ehemals für so gewiß galten, daß ihr alter Gesetzgeber die Unschuld oder die Verdammung sämtlicher Mädchen danach entschieden hat.

Mit Vergnügen sehe ich, welche Sorgfalt Du auf die Erziehung Deiner eigenen Tochter verwendest. Gebe Gott, daß ihr Gemahl sie so schön und so rein wie Fatime finde. Mögen zehn Eunuchen ihr zum Schutz gegeben werden; möge sie dem Serail, für welches sie bestimmt ist, zu Ruhm und Zier gereichen; möge sie nur vergoldetes Getäfel über ihrem Haupte und nur prächtige Teppiche unter ihren Füßen haben; und, um das Maß meiner Wünsche voll zu machen, mögen meine Augen sie in ihrer ganzen Herrlichkeit erblicken.

Paris, am 5. des Mondes Chalval, 1714.



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