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Hundertundsechzehnter Brief.
Usbek an denselben.

Die Römer hatten nicht weniger Sklaven als wir; im Gegenteil, sie hatten mehr. Aber sie machten einen bessern Gebrauch davon.

Weit entfernt, die Vermehrung dieser Sklaven zwangsweise zu verhindern, begünstigten sie dieselbe vielmehr nach bestem Vermögen. Sie verbanden sie, soweit es irgend thunlich war, durch eine Art Ehe, und vermittelst dieser Sitte füllten sie ihre Häuser mit Dienstboten beiderlei Geschlechts und jedes Alters; dem Staat aber wuchs dadurch eine zahllose Bevölkerung heran. Hume (a. a. O.) glaubt, daß die Sklaverei keineswegs zur Volksvermehrung beitrug, sondern das Gegenteil, da die Ehen der Sklaven, die Montesquieu hier als die Regel darstellt, nur Ausnahmen waren. Er meint, jeder große Sklavenhaushalt im Altertum sei eine Art Kloster gewesen. Das Bedürfnis nach Sklaven wurde daher auch hauptsächlich durch Sklavenmärkte befriedigt, wo die Kriegsgefangenen verkauft wurden. Zu Delos wurden oft zehntausend Sklaven täglich zum Gebrauche der Römer verhandelt. (Strabo, lib. XIV.) Vergl. über die Sklavenmärkte Guhl und Koner (Leben der Griechen und Römer, Seite 627).

Diese Kinder, welche mit der Zeit den Reichtum eines Herrn bildeten, kamen massenhaft rings um ihn auf die Welt. Ihm allein fiel die Sorge für ihre Ernährung und Erziehung zu; die Väter waren von dieser Last frei, folgten einfach dem Triebe der Natur und vermehrten sich, ohne zu befürchten, daß ihre Familie zu zahlreich werden könnte.

Ich habe bereits erwähnt, daß bei uns alle Sklaven damit beschäftigt sind, unsere Frauen zu bewachen, und mit weiter nichts. Hinsichtlich des Staates befinden sie sich in einer ununterbrochenen Todesruhe. Die Pflege der Künste und des Ackerbaues muß sich daher auf einige Freie, auf einige Familienhäupter beschränken, und selbst diese widmen sich derselben so wenig wie möglich.

Bei den Römern war es ganz anders; die Republik bediente sich dieses Volkes von Sklaven mit unendlichem Vorteil. Jeder von ihnen hatte sein erworbenes Eigentum, das sogenannte Peculium, Peculium hieß das Vermögen, welches der pater familias seinem Sohne oder seinem Sklaven überließ und zu jeder Zeit von demselben zurücknehmen konnte, da Söhne und Sklaven nichts für sich, sondern nur für den Hausvater erwerben durften. Dies Gesetz erlitt eine Ausnahme, wenn der Herr dem Sklaven etwas zu eigner Verwaltung übergab oder ihm gestattete, sich von dem ihm bewilligten Deputat oder durch eignen Fleiß etwas zu ersparen. Solche Ersparnisse, die der Sklave sich an seinem eigenen Munde abdarben mußte, waren nicht leicht zu machen. Doch gab es in den Zeiten gänzlich verfallener Zucht sogar sehr reiche Sklaven, welche selbst Sklaven hatten. Solcher Sklave eines Sklaven hieß vicarius und gehörte zum peculium des Obersklaven. (Pauly und Teuffel, Real-Encyklopädie des klass. Altertums.) Montesquieu's Darstellung der römischen Sklaverei ist ganz gegen alle Thatsachen optimistisch. Ein richtiges und sehr dunkles Bild geben Guhl und Koner (a. a. O., Seite 636–638.) welches er unter gewissen, ihm von seinem Herrn gestellten Bedingungen besaß. Mit diesem Peculium gründete er sich nach eigener Neigung seinen gewerblichen Beruf. Dieser widmete sich dem Wechselgeschäft; jener legte sich auf den überseeischen Handel; der eine betrieb einen Kleinkram; der andre war in einer mechanischen Kunst thätig oder pachtete und verbesserte ländlichen Besitz. Alle aber setzten sie ihre ganze Kraft daran, auf diesem Peculium den größtmöglichen Vorteil zu ziehen; denn dadurch brachten sie es nicht allein zu Wege, daß sie trotz ihrer Abhängigkeit in Wohlstand leben konnten, sondern nährten zugleich ihre Hoffnung auf künftige Freiheit. Dieser Brauch schuf ein arbeitsames Volk und belebte die Künste und den Gewerbfleiß.

Waren solche Sklaven durch ihre angestrengte Arbeit reich geworden, so kauften sie sich los und wurden Bürger. Dadurch ergänzte die Republik sich unaufhörlich und sah, in demselben Verhältnis, in dem die alten Familien ausstarben, neue unter ihrem Schutze erblühen.

Vielleicht findet sich in meinen folgenden Briefen Gelegenheit, Dir nachzuweisen, daß der Handel in einem Staate einen um so lebhafteren Aufschwung nimmt, je größer die Zahl der Einwohner ist. Ebenso leicht werde ich auch beweisen können, daß sich die letztere um so stärker vermehrt, je blühender der Handel sich entwickelt; zwischen beiden findet eine Wechselwirkung statt; das eine wird durch das andere mit Notwendigkeit befördert.

Wie sehr also mußte unter solchen Umständen jene fabelhafte Menge immer arbeitsamer Sklaven wachsen und zunehmen! Dem günstigen Einfluß von Gewerbthätigkeit und Wohlstand schuldeten sie das Dasein; und ihnen selbst wiederum schuldeten Wohlstand und Gewerbthätigkeit ihr Dasein.

Paris, am 16. des Mondes Chahban, 1718.



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