Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigster Brief.
Usbek an seine Gemahlin Zachi im Serail zu Ispahan.

Du hast mich beleidigt, Zachi, und ließe meine Abwesenheit Dir nicht Zeit, Dein Betragen zu ändern und die heftige Eifersucht; welche mich quält, zu besänftigen, so würdest Du zu zittern haben vor dem Zorn, den ich im Herzen trage.

Ich erfahre, daß man Dich mit dem weißen Eunuchen Nadir allein betroffen hat. Mit seinem Kopfe soll er seine Treulosigkeit und Falschheit entgelten. Aber Du, wie konntest Du vergessen, daß es Dir nicht gestattet ist, Dein Zimmer einem weißen Verschnittenen zu öffnen, während schwarze für Deine Bedienung bestimmt sind? Es wäre eitel, mir zu antworten, daß Eunuchen keine Männer seien, und daß Deine Tugend Dich über Gelüste erhebe, welche eine unvollkommene Ähnlichkeit in Dir erregen könnte. Weder für Dich, noch für mich ist das hinreichend. Für Dich nicht, weil Du etwas thust, was die Gesetze des Serails Dir verbieten; für mich, weil Du mich entehrst, indem Du Dich dem Anblick, (aber was sage ich? Nur dem Anblick?) vielleicht gar den Angriffen eines Ruchlosen aussetzest, der Dich durch seine Frevel und mehr noch durch, seine ohnmächtigen Begierden und die Verzweiflung seiner Impotenz besudelt hat.

Vielleicht wirst Du mir antworten, daß Du mir immer treu gewesen bist. Ei! War Dir das Gegenteil etwa möglich? Wie hättest Du die Wachsamkeit der schwarzen Eunuchen zu täuschen vermocht, die über Deinen Lebenswandel jetzt so erstaunt sind? Wie hättest Du jene Schlösser und Thore durchbrechen können, die Dich eingeschlossen halten? Du rühmst Dich einer Tugend, die nicht frei ist; und vielleicht haben schon tausendmal Deine unkeuschen Begierden Dir das Verdienst und den Wert dieser vielgerühmten Tugend geraubt.

Aber selbst wenn ich annehme, Du habest nicht alles das begangen; was ich argwöhnen muß; jener Schurke habe Dich nicht mit seinen ruchlosen Händen berührt; Du habest Dich geweigert, seinen Blicken die Wonne seines Gebieters zu entschleiern; Du habest Dein Gewand, diese schwache Schranke zwischen ihm und Dir, nicht fallen lassen, oder er selbst habe, von heiliger Ehrfurcht ergriffen, die Augen gesenkt; habe, von seiner Tollkühnheit verlassen, vor dem Gericht gezittert, das er über sich heraufbeschwört: wenn auch alles dies wahr wäre, so ist es doch nicht minder wahr, daß Du Deine Pflicht mißachtet hast. Und hast Du sie umsonst verletzt, ohne Deine verbotenen Begierden zu befriedigen, was würdest Du erst gethan haben, um ihnen genugzuthun? Ja was würdest Du noch thun, wenn Du die geweihte Stätte verlassen könntest, die Du wie einen schwer erträglichen Kerker betrachtest, während sie für Deine Gefährtinnen ein freundlicher Zufluchtsort vor den Angriffen des Lasters ist, ein heiliger Tempel, wo Dein Geschlecht von seiner Schwäche befreit wird und sich trotz aller natürlichen Nachteile unüberwindlich findet? Was würdest Du thun, wenn Du, Dir selbst überlassen, zu Deiner Verteidigung nur Deine Liebe für mich besäßest, die Du so tief gekränkt, und Deine Pflicht, die Du so unwürdig gebrochen hast? Wie heilig sind die Sitten des Landes, in welchem Du lebst, da sie Dich der lüsternen Gewaltthätigkeit der niedrigsten Sklaven entreißen! Du solltest mir Dank wissen, daß ich Deinem Dasein diese Beschränkung auferlege, da Du nur durch sie noch zu leben verdienst.

Du kannst den Obereunuchen nicht leiden, weil er für Dein Betragen stets ein wachsames Auge hat und Dir verständigen Rat erteilt. Du sagst, seine Häßlichkeit sei so groß, daß sein Anblick Dir Widerwillen errege: als ob man solche Ämter von schön gestalteten Menschen verwalten ließe. Was Dich erbittert, ist vielmehr das Bedauern, an seiner Stelle nicht den weißen Verschnittenen zu haben, der Dich entehrt.

Aber was hat Dir Deine erste Sklavin gethan? Sie hat Dir gesagt, daß die Vertraulichkeiten, welche Du Dir gegen die junge Zelide Aus dem vierten Brief ergiebt sich, Zephis jener Vertraulichkeiten mit Zelide angeklagt war; es ist also offenbar ein Irrtum des Verfassers, den vorliegenden Brief an Zachi anstatt an Zephis zu adressieren. erlaubst, gegen die Sittsamkeit verstoßen: das ist die Ursache Deines Hasses.

Zachi, ich sollte Dir ein strenger Richter sein; aber ich bin nur ein Gatte, der Dich unschuldig zu finden wünscht. Die Liebe für meine neue Gattin Roxane hat meine Zärtlichkeit für Dich nicht vermindert; denn Du bist so schön wie sie. Ich teile meine Liebe zwischen Euch beiden; und wenn Roxane etwas vor Dir voraus hat, so ist es nur der höhere Wert, den die Tugend der Schönheit verleiht.

Smyrna, am 12. des Mondes Zilkadeh,1711.



 << zurück weiter >>