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Siebenunddreißigster Brief.
Usbek an Ibben in Smyrna.

Der König von Frankreich ist ein alter Mann. Ludwig XIV. stand damals im 75. Jahre seines Lebens und im siebzigsten seiner Regierung. Unsere Geschichte besitzt kein Beispiel eines Monarchen, der so lange regiert hätte. Er soll es besonders gut verstehen, sich Gehorsam zu verschaffen; sein Geist beherrscht in gleichem Maße Familie, Hof und Staat. Man hat ihn oftmals sagen hören, daß unter allen Regierungsformen von der Welt die der Türken oder die unseres erhabenen Sultans ihm am besten gefallen würde: so hoch ist seine Meinung von der orientalischen Staatskunst.

Ich habe seinen Charakter studiert und darin Widersprüche entdeckt, die ich nicht zu lösen vermag. So hat er z. B. einen Minister, Louis François Letellier, Marquis de Barbezieux, ein Sohn des als Reorganisator des französischen Heerwesens und durch die Grausamkeit seiner Kriegsführung berühmten Kriegsministers Louvois. Er starb schon im Alter von 33 Jahren. welcher erst achtzehn, und eine Maitresse, Frau von Maintenon. die bereits achtzig Jahre alt ist. Er liebt seine Religion; aber die Leute, welche sagen, daß man sie streng beobachten müsse, sind ihm verhaßt. Die Jansenisten. Obgleich er den Lärm der Städte flieht und sich nur wenig mitteilsam zeigt, ist er doch vom Morgen bis zum Abend nur damit beschäftigt, der Welt Stoff zum Gespräch zu liefern. Er liebt Trophäen und Siege; aber er fürchtet gerade so sehr, einen tüchtigen Feldherrn an der Spitze seiner Truppen zu sehen, als er Ursache haben würde, ihn zu fürchten, wenn derselbe ein feindliches Heer befehligte. Ich glaube, daß bis auf ihn niemand in der sonderbaren Lage gewesen ist, mit mehr denn fürstlichen Reichtümern überhäuft zu sein und sich dabei doch in einer drückenden Armut Strodtmann macht hier die Anmerkung, daß bei Ludwigs Tode seine Möbel noch unbezahlt waren und sein Silberzeug verkauft wurde, um einige seiner Schulden mit dem Erlös zu decken. zu befinden, wie sie selbst ein Privatmann nicht aushalten könnte.

Es macht ihm Vergnügen, empfangene Dienste durch Gnadengeschenke zu belohnen; aber er vergilt ebenso freigebig die Thätigkeit, oder richtiger die Unthätigkeit seiner Höflinge wie die mühseligen Feldzüge seiner Heerführer, Nicht selten zieht er einen Menschen, der ihn auskleidet oder ihm die Serviette reicht, wenn er sich zur Tafel setzt, einem anderen vor, welcher ihm Städte erobert oder Schlachten gewinnt. Er glaubt nicht, daß die souveräne Größe mit ihren Gnadenerweisungen sparsam schalten dürfe; und ohne zu prüfen, ob der, welchen er mit Gunstbezeigungen überhäuft, ein verdienstvoller Mann sei, meint er, daß seine Wahl ihn dazu machen werde. So hat man auch erlebt, daß er einem Menschen, welcher zwei Meilen weit vor dem Feinde ausgerissen war, eine kleine Pension aussetzte, und einem andern, der vier Meilen weit davongelaufen, eine schöne Statthalterschaft verlieh.

Er ist prachtliebend, besonders hinsichtlich seiner Bauten; Voltaire nannte Versailles »l'abîme des dépenses« Der Palast und die Gärten sollen über eine Milliarde Livres gekostet haben. in den Gärten seines Palastes giebt es mehr Statuen, als Bürger in einer großen Stadt. Seine Leibwache ist so stark wie die des Fürsten, vor welchem alle Throne niederstürzen; seine Heere sind ebenso zahlreich, seine Hülfsmittel ebenso groß und seine Finanzen ebenso unerschöpflich.

Paris, am 7. des Mondes Maharram, 1713.



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