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Hundertundneununddreißigster Brief.
Rica an denselben.

Heut will ich Dir ein großes Beispiel ehelicher Zärtlichkeit mittheilen; die es gegeben hat, ist nicht nur eine Frau, sondern sogar eine Königin. Die Königin von Schweden wollte auf alle Fälle die Krone ihres Landes auf dem Haupte des Prinzen, ihres Gemahls, sehen, und um der Verwirklichung dieses Vorhabens alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, hat sie den Reichsständen eine Erklärung übersandt, durch welche sie im Falle seiner Wahl auf die Regierung verzichtet. iese Fürstin, Ulrike Eleonore, die jüngste Schwester Karls XII., war mit Umgebung des rechtmäßigen Thronfolgers, des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp, unter der Bedingung von den Reichständen auf den schwedischen Thron gehoben worden, daß sie dem absoluten Regiment entsagte und in die Wiederherstellung der alten Verfassung willigte. Sie trat im Jahre 1720 die Krone an ihren Gemahl, den Prinzen Friedrich von Hessen-Kassel, ab. (Vergl. Brief 128, Anm. 250.)

Vor etlichen sechzig Jahren entsagte eine andere Königin, namens Christine, dem Thron, um sich ganz der Philosophie zu widmen. Ich weiß nicht, welches von diesen beiden Beispielen größere Bewunderung verdient. Die Tochter Gustav Adolfs, Freundin von Descartes, die nach zehnjähriger Regierung 1654 auf den Thron verzichtete.

Obgleich ich es für recht halte, daß jeder den Posten behaupte, welchen die Natur ihm zugewiesen hat, und obgleich ich die Schwäche derer nicht zu loben vermag, welche, wenn sie sich ihrer Stellung nicht gewachsen fühlen, aus derselben gleichsam desertieren: ergreift mich doch die Seelengröße dieser beiden Fürstinnen, da der Geist der einen und das Herz der anderen ihrem Schicksal überlegen ist. Christine strebte nach Erkenntnis zu einer Zeit, als andere nur dem Genusse nachjagten; und ihre Nachfolgerin will nur genießen, um all ihr Glück in die Hände ihres erlauchten Gemahls zu legen.

Paris, am 27. des Mondes Maharram, 1720.



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