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Sechsundachtzigster Brief.
Usbek an Mirza in Ispahan.

Du weißt, Mirza, daß einige Minister des Schah Soliman »Der vorletzte Beherrscher Persiens von der Sofi-Dynastie, die mit seinem Nachfolger Schah Hussein (1694-1722) endete (vergl. Brief 33, Anm. 60.) nachdem sie sich zwei Jahrhunderte lang, seit 1505, auf dem Throne behauptet hatte.« Strodtmann. den Plan geschmiedet hatten, alle in Persien ansässigen Armenier aus dem Reiche auszuweisen oder ihnen den Übertritt zum Muhamedanismus anfzuzwingen, weil sie wähnten, unser Land werde so lange befleckt bleiben, als es diese Ungläubigen in seinem Schoße hege. Dieser ganze Brief bezieht sich auf die damaligen Ketzerverfolgungen der Regierung (vergl. über die Jansenisten Brief 24) und besonders auf die Aufhebung des Edikts von Nantes. Man weiß, daß dies Toleranzedikt 1598 von Heinrich IV. erlassen war und 1685 von Ludwig XIV. widerrufen wurde, wodurch die Hugenotten gezwungen wurden, mit ihren Reichtümern und mit ihrem Gewerbfleiß in andren Staaten Schutz zu suchen. Durch nichts hat Ludwig dem Lande so sehr geschadet wie durch diesen Akt, dessen eigentliche Urheber die Jesuiten, besonders des Königs Beichtvater, La Chaise, waren.

Hätte damals die verblendete Frömmelei Gehör gefunden, so wäre es um Persiens Größe geschehen gewesen.

Man weiß nicht recht, wodurch die Absicht hintertrieben wurde; weder die, von denen der Vorschlag ausging, noch die, welche ihn verwarfen, waren sich der Folgen bewußt. Der Zufall versah das Amt der Vernunft und der Staatsweisheit und rettete das Reich von einer größeren Gefahr, als ihm nach drei verlorenen Schlachten und dem Verlust von zwei Städten hätte drohen können.

Durch die Verbannung der Armenier würde man das Reich an einem einzigen Tage sämtlicher Handeltreibenden und fast aller Handwerker beraubt haben. Ich bin fest überzeugt, der große Schah Abbas hätte sich eher beide Arme abhauen lassen, als einen solchen Erlaß unterzeichnet; er würde geglaubt haben, er verschenke die Hälfte seiner Staaten an den Mogul und die übrigen Könige von Indien, wenn er zu diesem seine gewerbthätigsten Unterthanen triebe.

Die Verfolgungswut unserer zelotischen Muhamedaner hat die Guebern Vergl. Brief 67. genötigt, massenweise nach Indien zu flüchten, und Persien um diesen arbeitsamen, zum Feldbau so geschickten Volksstamm gebracht, der allein imstande war, in angestrengter Thätigkeit die Unfruchtbarkeit unseres Bodens zu überkommen.

Nun blieb der Frömmelei nur noch ein zweiter Streich zu führen, nämlich die Zerstörung von Handel und Gewerbe: und wenn er gelungen wäre, so würde das Reich in sich zusammengestürzt sein, und mit ihm folgerichtig eben jene Religion, um deren Glanz man so bemüht war.

Überlege ich mir die Sache ohne Vorurteil, so möchte ich es fast für etwas Gutes halten, wenn es in einem Staate mehrere Religionen giebt.

Man kann die Bemerkung machen, daß die Bekenner bloß geduldeter Religionen sich ihrem Vaterlande im allgemeinen nützlicher erweisen, als die Angehörigen der herrschenden Religion; denn da sie von Ehrenstellen ausgeschlossen sind und sich nur durch Überfluß und Reichtum hervorthun können, so sind sie zum Erwerbe der letzteren auf ihre Arbeit angewiesen und müssen die beschwerlichsten Geschäfte der Gesellschaft übernehmen.

Da überdies alle Religionen Gebote vorschreiben, welche für die Gesellschaft von Nutzen sind, so ist es gut, daß sie mit Eifer beobachtet werden. Was aber ist wohl mehr geeignet, diesen Eifer zu beleben, als ihre Vielheit?

Sie sind Nebenbuhlerinnen, die einander nichts vergeben. Selbst die einzelnen Glieder der Gemeinden nehmen an der Eifersucht teil; jeder ist auf seiner Hut und scheut sich, etwas zu begehen, was seiner Partei zur Unehre gereichen und sie der Verachtung und dem unverzeihlichen Tadel der Gegenpartei aussetzen würde.

Auch hat sich die Erfahrung stets wiederholt, daß die Bildung einer neuen Seite in einem Staate das sicherste Mittel war, alle Mißbräuche der älteren abzustellen.

Man sagt ganz mit Unrecht, es widerstreite dem Interesse eines Fürsten, mehrere Religionen in seinem Staate zu dulden. Strömten auch alle Sekten der Welt daselbst zusammen, so würde ihm doch kein Nachteil daraus er wachsen, denn es giebt keine einzige, die nicht Gehorsam vorschriebe und Unterwerfung predigte. Die Geschichte der römischen Kirche bis in die neueste Zeit widerspricht dieser Ansicht.

Ich gebe zu, daß die Geschichte eine Fülle von Religionskriegen verzeichnet; aber man hüte sich, daraus einen falschen Schluß zu ziehen. Nicht die Vielheit der Religionen war es, welche die Kriege entfachte, sondern der Geist der Unduldsamkeit, welcher die beseelte, die allein das Herrschaftsrecht zu besitzen glaubte.

Es ist noch jener alte Verehrungseifer, den die Juden von den Ägyptern überkommen haben, und der sich von ihnen wie eine allgemeine ansteckende Seuche auf die Muhamedaner und Christen vererbt hat.

Gerade heraus, es ist jener religiöse Wahnsinn, dessen Umsichgreifen nur als eine völlige Verfinsterung der menschlichen Vernunft betrachtet werden kann.

Denn schließlich thäte man ja närrisch daran, sich um alles dies zu bekümmern, wenn es nicht unmenschlich wäre, auf andre Gewissenszwang auszuüben, und wenn daraus nicht jene schädlichen Folgen entsprängen, wie sie zu Tausenden hervorkeimen. Wer mich bestimmen will, meine Religion zu verleugnen, thut es doch ohne Zweifel nur darum, weil er die seinige nicht verleugnen würde, wenn man ihn dazu zwingen wollte; er findet es also befremdlich, daß ich etwas nicht thue, wozu er sich vielleicht nicht um den Preis der Welt bewegen ließe. In dieser Verteidigung der religiösen Toleranz hatte Montesquieu Vorgänger in Spinoza (Tractatus politicus, 1676), in Bayle (Contrains-les d'entrer) und in Locke (Letters on toleration, 1686-89).

Paris, am 26. des ersten Mondes Gemmadi. 1715.



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