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Siebenter Brief.
Fatmeh an Usbek in Erzerum.

Nun sind schon zwei Monate seit Deiner Abreise vergangen, mein lieber Usbek, und noch immer kann ich in meiner Niedergeschlagenheit nicht daran glauben. Ich durchsuche das ganze Serail, als ob Du noch hier wärest, und lasse mich eines Besseren nicht belehren. Was soll aus einer Frau werden, welche Dich liebt; welche an Deine Umarmungen gewöhnt war; deren ganzes Sinnen sich darauf richtete, Dir ihre Zärtlichkeit zu beweisen; die, obwohl frei geboren, durch die Gewalt ihrer Liebe Deine Sklavin wurde?

Als ich Dich heiratete, hatten meine Augen noch niemals das Angesicht eines Mannes erblickt, und noch jetzt bist Du der Einzige, dessen Anblick mir verstattet war; Die Perserinnen werden viel eifersüchtiger bewacht als die türkischen und die indischen Frauen. denn diese scheußlichen Eunuchen zähle ich nicht zur Klasse der Männer; daß sie keine Männer sind, ist von ihren Unvollkommenheiten nur die geringste. Wenn ich die Schönheit Deiner Gesichtszüge mit der Mißgestalt der ihrigen vergleiche, so kann ich nicht umhin, mich glücklich zu schätzen. Meine Einbildungskraft zaubert mir keine reizvollere Vorstellung als die bestrickenden Reize Deiner Person. Ich schwöre Dir, Usbek, wenn es mir freistünde, diesen Ort, wo ich durch die Gesetze meiner Stellung eingeschlossen bin, zu verlassen; wenn ich mich der Wache entziehen könnte, die mich umgiebt; wenn ich unter allen Männern, die in dieser Hauptstadt der Nationen leben, die Wahl hätte; ja,Usbek, ich schwöre es Dir, ich würde nur Dich wählen. Außer Dir kann Niemand in der Welt sein, der es verdiente, geliebt zu werden.

Glaube nicht, daß ich über Deiner Abwesenheit jene Schönheit vernachlässigt habe, welche Dir teuer ist. Obgleich mich Niemand sehen darf, und die Geschmeide, mit denen ich mich schmücke, nicht zu Deinem Glücke dienen, übe ich mich doch noch immer in der Kunst, zu gefallen. Ich gehe nicht zur Ruhe, ohne mich mit dem Wohlgeruch der köstlichen Essenzen bedeckt zu haben. Ich gedenke der glücklichen Zeit, wenn Du in meine Arme eiltest; ein schmeichlerischer Traum verführt mich und gaukelt mir den teuren Gegenstand meiner Liebe vor; meine Einbildung verliert sich in ihren Wünschen, wie sie sich mit ihren Hoffnungen schmeichelt. Manchmal denke ich, daß Du, des beschwerlichen Reisens müde, zu uns zurückkehren wirst; die Nacht vergeht in Träumen, die weder dem Wachen noch dem Schlafe angehören; ich suche Dich an meiner Seite, und es ist mir, als fliehest Du von mir; und endlich zerstreut gerade die Glut, die mich verzehrt, jene Bezauberung und ruft mich zur Besinnung zurück. Ich fühle mich dann so erregt … Du hast keine Vorstellung davon, Usbek; es ist unmöglich, in diesem Zustande zu leben; das Feuer strömt durch meine Adern. Warum kann ich Dir nicht ausdrücken, was ich so lebhaft fühle? Und wie kann ich so lebhaft fühlen, was ich Dir nicht ausdrücken kann? In solchen Augenblicken, Usbek, würde ich die Herrschaft der Welt für einen einzigen Deiner Küsse dahingeben Wie elend ist eine Frau daran mit so heftigen Begierden, wenn sie dessen beraubt ist, der allein dieselben befriedigen kann; wenn sie, sich selbst überlassen, nichts hat, das sie zerstreuen könnte, und unter beständigen Seufzern in der Wut einer aufgeregten Leidenschaft leben muß; wenn sie, weit entfernt, selbst glücklich zu sein, nicht einmal des Vorteils genießt, dem Glücke eines andern zu dienen: das unnütze Prunkstück eines Serails, zur Ehre, aber nicht zum Glücke ihres Gemahls bewacht!

Ihr seid höchst grausam, Ihr Männer! Es freut Euch, daß wir Begierden haben, die wir nicht befriedigen können; Ihr behandelt uns, als ob wir gefühllos wären; und doch würdet Ihr sehr aufgebracht sein, wenn wir es wirklich wären; Ihr glaubt, daß unsere Begierden, nachdem wir sie so lange unterdrückt, bei Eurem Anblick erwachen werden. Es kostet Mühe, sich Liebe zu erwerben; es ist weniger langwierig, von unserem Temperament zu empfangen, was Ihr von Eurem Verdienste nicht zu hoffen wagt.

Lebe wohl. mein lieber Usbek, lebe wohl. Zähle darauf, daß ich nur lebe, um Dich anzubeten: meine Seele ist ganz von Dir erfüllt; und Deine Abwesenheit, weit entfernt, Dich in Vergessenheit zu bringen, würde meine Liebe noch vermehren, wenn sie an Heftigkeit zunehmen könnte.

Im Serail zu Ispahan, am 13. des ersten Mondes Rebiab, 1711.



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