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Hundertundsechsundzwanzigster Brief.
Rica an ***.

Alle Religionen sind in großer Verlegenheit, wenn es sich um eine klare Vorstellung von den Seligkeiten handelt, welche den Guten verheißen sind. Es ist leicht, die Bösen durch das drohende Bild einer langen Kette von Strafen Das Vergnügen an der Ausmalung von Höllenqualen datiert wahrscheinlich von Gregor dem Großen. (Vergl. Plancey, Dictionnaire infernal, Artikel Enfer.) Auch unsere Galerien liefern reiches Material. Wir erinnern nur an den Höllenbreughel (gest. 1625). in Furcht zu setzen; aber was man den Tugendhaften versprechen soll, weiß man nicht. Kurze Dauer scheint eine natürliche Eigenschaft aller Freuden zu sein; die Einbildungskraft hat Mühe, sich andere vorzustellen. »Wer sich Unsterblichkeit noch denkt, wie der Türke, denkt sie sich so physisch, daß sein hiesiges Leben nicht erhöht wird, sondern das künftige als Fortsetzung des hiesigen vertieft.« (Jean Paul, Werke, 1842, Bd. 33, Seite 255.)

Mir sind Beschreibungen des Paradieses zu Gesicht gekommen, die jeden Vernünftigen bestimmen könnten, darauf Verzicht zu leisten. Die einen lassen die seligen Schatten unaufhörlich Flöte spielen; andere verdammen sie zu der Qual, ewig spazieren zu gehen; andere endlich, welche sie dort oben von ihren irdischen Geliebten träumen lassen, halten hundert Millionen Jahre für keinen hinreichend langen Zeitraum, um uns den Geschmack an solchen verliebten Sorgen zu benehmen. Heinrich Suso verheißt im Paradiese goldnes Pflaster, Häuser von Perlen, Musik und Liebäugeleien, während nach Henriquez die Männer ihre Frauen daselbst wiederfinden und von neuem ihre ehelichen Rechte genießen werden. Den höchsten Genuß aber verspricht der heilige Thomas von Aquino: »Die Seligen werden im Himmelreich die Qualen der Verdammten schauen, auf daß ihnen ihre Seligkeit um so besser behagen möge.« (Summa Supp., quaest. XCIV, art. 1.)

Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit einer Geschichte, die ich einst von jemand habe erzählen hören, der das Land des Moguls besucht hatte. Sie kann zum Beweise dienen, daß die indischen Priester eine ebenso unfruchtbare Phantasie besitzen wie die andern auch, wo die Wonnen des Paradieses in Frage kommen.

Eine Frau, die soeben ihren Mann verloren hatte, begab sich mit feierlichem Gepränge zu dem Gouverneur der Stadt, um seine Erlaubnis einzuholen, sich verbrennen zu dürfen. Da man aber in den Ländern, welche unter muhamedanischer Oberhoheit stehen, nach Kräften bemüht ist, diesen grausamen Brauch aus der Welt zu schaffen, so verweigerte er ihr auf das entschiedenste seine Genehmigung.

Als sie die Ohnmacht ihrer Bitten erkannte, geriet sie in eine leidenschaftliche Wut. »Da sieht man es nun,« rief sie, »wie rechtlos man ist! Es soll einer armen Frau nicht einmal gestattet werden, sich zu verbrennen, wenn sie dazu Lust hat! Ist so etwas erhört? Meine Mutter, meine Tante, meine Schwestern haben sich doch auch verbrennen dürfen! Und wenn ich zu diesem verwünschten Statthalter gehe, um mir seine Einwilligung dazu geben zu lassen, gerät er in Hitze und fängt an zu schreien wie ein Rasender.«

Zufällig war ein junger Bonze Bonze, der Name der chinesischen Priester, ist hier fälschlich für Brahmane gebraucht. zugegen. »Ungläubiger,« wandte sich der Gouverneur zu ihm, »warst du es, der das Weib auf ihren unsinnigen Einfall gebracht hat?« – »Nein,« antwortete er, »ich habe niemals mit ihr geredet. Aber wenn sie auf mich hört, so muß sie ihr Opfer zu Ende führen; sie wird damit eine Handlung begehen, die dem Gotte Brahma wohlgefällt. Auch wartet ihrer dafür ein reicher Lohn; denn sie wird ihren Gatten in der andren Welt wiederfinden und aufs neue mit ihm in ehelichem Bunde leben.« – »Was sagst du da?« rief die erstaunte Frau. »Ich soll meinen Mann wiederfinden? Nein, dann verbrenne ich mich nicht! Er war eifersüchtig, mürrisch, und übrigens so alt, daß, wenn der Gott Brahma nicht eine Umwandlung an ihm vollzogen hat, er meiner sicherlich nicht bedarf. Mich für ihn verbrennen! … Nein, nicht einmal die Spitze meines Fingers, um ihn aus dem Abgrund der Hölle zu ziehen. Zwei alte Bonzen haben mich dazu beredet. Da sie wohl wußten, auf welche Weise ich mit ihm lebte, haben sie sich gehütet, mir alles zu sagen. Aber wenn der Gott Brahma mir weiter kein Geschenk zu machen hat, so verzichte ich auf diese Seligkeit. Herr Statthalter, ich werde Muhamedanerin. Du aber,«, schloß sie, indem sie den Bonzen anblickte, »du kannst, wenn du Lust hast, zu meinem Manne gehen und ihm sagen, daß ich mich sehr wohl befinde.«

Paris, am 2. des Mondes Chalval, 1718.



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