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Hundertundfünfzehnter Brief.
Usbek an denselben.

Du forschest nach dem Grunde, warum die Erde jetzt weniger bevölkert ist, als sie es ehemals war. Wenn Du genau zusiehst, wirst Du finden, daß dieser große Unterschied eine Folge der veränderten Sitten ist.

Seit die christliche und die muhamedanische Religion sich in das römische Weltreich geteilt haben, ist ein großer Umschwung aller Verhältnisse eingetreten. Diese beiden Religionen sind bei weitem nicht so günstig für die Fortpflanzung der Gattung, wie es die jener Herren des Erdkreises gewesen ist.

In der letzteren war die Vielweiberei Vergl. über Polygamie Brief 38 und Anmerkung. Daß auch das alte Testament dieselbe gestattete und das neue sie nicht verbot, betont schon das Buch »De tribus impostoribus« (1598), wo es heißt: »Nonne polygamia per Mahometem, Mosen, et ut pars disputat, in Novo Testamento etiam concessa?« Die »Polygamia triumphatrix« ist im 35. Briefe erwähnt. Auf die Bibel gestützt, verteidigte auch Milton die Polygamie (Treatise on Christian Doctrine). Unter deutschen Advokaten derselben erwähnen wir Schopenhauer (Über die Weiber, Parerga, Bd. II) und Dulk (Stimme der Menschheit). Roscher weist sehr gründlich nach, daß dieselbe ein Hindernis der Volksvermehrung ist (Grundl. der Nat. § 245). Comte sagt: »Die Ehe begann in allen Ländern mit unbeschränkter Polygamie und entwickelt sich in allen zur reinsten Monogamie.« (Politique Positive, I, IV.) verboten, wodurch sie einen großen Vorzug vor der muhamedanischen Religion besaß. Einen andern, nicht weniger bedeutenden, vor der christlichen hatte sie dadurch, daß sie die Ehescheidung gestattete.

Ich finde nichts so widerspruchsvoll wie diese im heiligen Koran erlaubte Mehrzahl der Frauen, und das in demselben Buche gepredigte Gebot, sie zu befriedigen. »Haltet euch zu euren Weibern,« sagt der Prophet; »denn sie bedürfen eurer wie ihrer Gewänder, und ihr bedürft ihrer wie eurer Gewänder.« Durch diese Vorschrift wird einem rechten Muselmann das Leben gar sauer gemacht. Muß nicht derjenige, welcher die vier vom Gesetz vorgeschriebenen Frauen und nur noch ebenso viele Beischläferinnen und Sklavinnen hat, von der Last so vieler Gewänder zu Boden gedrückt werden?

»Eure Weiber sind eure Äcker,« fährt der Prophet fort; »bestellet also eure Äcker. Thut Gutes um eurer Seelen willen, und es wird euch eines Tages vergolten werden.«

Ich betrachte einen guten Muselmann wie einen Athleten, der, zu ununterbrochenem Ringkampf genötigt, bald abgemattet und von seinen ersten Anstrengungen erschöpft, auf dem Felde seiner Siege niedersinkt und gleichsam unter seinen eigenen Triumphen begraben ist. Nach Bolney sind türkische Ehemänner häufig schon mit dreißig Jahren impotent. (Voyage dans la Turkuie, II, 445)

Die Natur wirkt immer langsam und, sozusagen, mit Sparsamkeit; niemals ist ihre Thätigkeit gewaltsam; auch wo sie schafft, verlangt sie Mäßigung. Immer verfährt sie nach Maß und Regeln; überstürzt man sie, so sinkt sie bald erschöpft dahin. Alle Kraft, die ihr noch geblieben ist, braucht sie alsdann zur eigenen Erhaltung, und ihr schöpferisches Vermögen, ihre Zeugungskraft geht ihr gänzlich verloren.

In einen solchen Schwächezustand versetzt uns stets die große Anzahl unserer Weiber, die weit mehr dazu angethan ist, uns zu erschöpfen, als uns zu befriedigen. Es ist bei uns etwas sehr Gewöhnliches, daß der Besitzer eines mächtigen Serails nur sehr wenige Kinder hat, und diese Kinder selbst sind meistenteils schwächlich und ungesund, und die Entkräftung ihres Vaters hat sich auf sie vererbt.

Hierzu kommt noch etwas Anderes. Zu einer erzwungenen Enthaltsamkeit genötigt, bedürfen diese Frauen der Wächter, wozu nur Verschnittene tauglich sind; Religion, Eifersucht und selbst Vernunft gestatten nicht, daß andere in ihre Nähe kommen. Diese Wächter müssen in großer Zahl vorhanden sein, sei es, um die Ruhe im Inneren aufrecht zu erhalten, da die Weiber unter einander in ewigem Zwist leben, sei es, um Anschläge, die von außen gemacht werden könnten, zu verhindern. So sind denn zehn Eunuchen für einen Mann, welcher zehn Frauen oder Beischläferinnen hat, zu ihrer Bewachung kaum zu viel. Aber welchen Verlust für die Gesellschaft bedeutet diese große Zahl von Männern, die von Geburt an tot sind, und welchen Einfluß muß dies ausüben auf die Abnahme der Bevölkerung!

Die Sklavinnen, welche gemeinsam mit den Eunuchen diese große Menge von Frauen im Serail zu bedienen haben, altern dort fast immer in trauriger Jungferschaft.

Solange sie daselbst bleiben, können sie sich nicht verheiraten, und wenn ihre Herrinnen sich einmal an sie gewöhnt haben, mögen sie dieselben fast niemals von sich lassen.

So viele Personen beiderlei Geschlechts verwendet ein einziger Mann zu seinem Vergnügen, beraubt den Staat ihres Lebens und macht sie unbrauchbar zur Fortpflanzung der Gattung.

Konstantinopel und Ispahan sind die Hauptstädte der beiden größten Reiche der Welt. Alles muß dort zusammenströmen, und tausenderlei Lockungen rufen die Völker von nah und fern. Indessen sterben sie innerlich aus, und sie würden bald zu Grunde gehen, wenn die Herrscher nicht fast in jedem Jahrhundert ganze Nationen »So rief Abbas der Große die Einwohner der Stadt Julfa am Araxes nach Ispahan, wo sie die Vorstadt Julfa erbauten. Nach der Entthronung des Schah Hussein und der blutigen Niedermetzelung ihrer Bewohner (1722) wurde die Stadt durch Afghanen wieder bevölkert.« Strodtmann. dahin beriefen, um sie wieder zu bevölkern. In einem andren Briefe werde ich mich über diesen Gegenstand ausführlicher verbreiten.

Paris, am 13. des Mondes Chahban, 1718.



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