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Achtundsiebzigster Brief.
Rica an Usbek in***.

Folgendes ist die Abschrift eines Briefes, welchen ein in Spanien weilender Franzose hierhergeschrieben hat; ich darf wohl hoffen, daß er Dir Vergnügen machen wird.

»Ich habe nun seit sechs Monaten Spanien und Portugal nach allen Richtungen durchstreift und unter Volksstämmen gelebt, welche alle anderen verachten und nur die Franzosen mit ihrem Hasse beehren.

Gravitätischer Ernst ist der hervorstechendste Charakterzug beider Nationen; er findet seinen Ausdruck besonders in zwei Attributen: in der Brille und dem Knebelbart.

Die Brille liefert den unwiderleglichen Beweis, daß der, welcher sie trägt, ein grundgelehrter Mann ist und durch tiefes Studium sich die Augen verdorben hat; und jede Nase, welche damit geziert oder beladen ist, gilt ohne Widerspruch als die Nase eines Gelehrten.

Was den Knebelbart betrifft, so ist er schon an und für sich etwas Achtung Gebietendes, ganz abgesehen von seinem möglichen Nutzen; doch versäumt man auch nicht, sich seiner gelegentlich zum großen Vorteil für die Bestrebungen des Fürsten und die Ehre der Nation zu bedienen. Dies ist recht ersichtlich an dem Beispiel des Don Juan de Castro, eines berühmten portugiesischen Feldherrn in Indien, der sich, als er Geld nötig hatte, den halben Knebelbart abschnitt, und ihn mit der Bitte an die Bürger von Goa sandte, ihm auf dies Unterpfand zwanzigtausend Pistolen vorzustrecken. Diese wurden ihm denn auch sofort geliehen, und in der Folge löste er seinen halben Schnurrbart mit Ehren wieder ein.

Man kann sich leicht vorstellen, daß auch so ernsthafte und phlegmatische Völker wie die genannten ihre kleine Eitelkeit haben können, und wirklich verhält es sich so. In der Regel gründet sie sich bei ihnen auf zwei höchst wichtige Punkte. Den Bewohnern der Pyrenäenhalbinsel schwillt das Herz in stolzem Bewußtsein, wenn sie sogenannte alte Christen sind, d. h. wenn sie nicht von denen abstammen, die erst während der letzten Jahrhunderte durch die Inquisition zur Annahme der christlichen Religion gezwungen wurden. Nicht minder geschmeichelt fühlen sich die nach West-Indien Ausgewanderten durch den Gedanken, daß sie das großartige Verdienst haben, eine, wie sie es nennen, weiße Haut zu besitzen. Nie ist eine Sultanin im Serail des Großmoguls auf ihre Schönheit so stolz gewesen, wie der abgelebteste, garstigste alte Kerl auf die olivengelbe Farbe seines Gesichts, wenn er in einer mexikanischen Stadt mit untergeschlagenen Armen vor seiner Hausthür sitzt. Ein Mann von solcher Bedeutung, ein so vollkommenes Geschöpf würde sich nicht um alle Schätze der Welt zur Arbeit herbeilassen und sich niemals entschließen, durch die Ausübung eines niedrigen Handwerks der Ehre und Würde seiner Haut etwas zu vergeben.

Denn man muß wissen: wenn ein Spanier irgend ein Verdienst hat, wenn er z. B. neben den bereits erwähnten Vorzügen auch noch die Auszeichnung genießt, Eigentümer eines großen Degens zu sein, oder wenn er von seinem Vater die Kunst gelernt hat, auf einer verstimmten Guitarre zu klimpern: so arbeitet er nicht mehr, sondern setzt seine Ehre in die Ruhe seiner Gliedmaßen. Wer täglich zehn Stunden still sitzt, wird genau um die Hälfte höher geachtet, als der, welcher nur fünf Stunden sitzen bleibt; denn auf Stühlen läßt sich hier der Adel erwerben.

Obwohl nun aber diese unüberwindlichen Feinde der Arbeit eine philosophische Ruhe zur Schau tragen, entbehren sie derselben in ihrem Herzen; denn sie sind immer verliebt. Sie stehen obenan unter allen Männern der Welt, die unter dem Fenster ihrer Geliebten vor Sehnsucht vergehen möchten; daher muß sich auch jeder Spanier einen Schnupfen zugezogen haben, wenn er als galanter Mann gelten will.

Vor allen Dingen sind sie Frömmler; ihre Eifersucht folgt erst in zweiter Linie. Sie nehmen sich wohl in Acht, ihre Frauen den Nachstellungen eines narbenbedeckten Soldaten oder einer altersschwachen Magistratsperson auszusetzen; mit einem inbrünstigen Novizen dagegen, der die Augen niederschlägt, oder mit einem stämmigen Franziskaner, der sie erhebt, schließen sie sie unbedenklich ein.

Besser als andre Leute kennen sie die Schwachheiten der Weiber; daher dulden sie nicht, daß man den Absatz ihres Schuhs bemerke oder unversehens ihre Fußspitze erblicke; denn sie wissen, daß die Phantasie nicht gern auf halbem Wege stehen bleibt, sondern von der Fußspitze auf alles Übrige schließt.

Überall spricht man von grausamem Liebesleid; aber bei den Spaniern ist es am schlimmsten. Wenn die Frauen sie von ihren Qualen heilen, so geschieht es nur, um ihnen neue zu schaffen; immer bleibt ihnen ein langes und schmerzliches Andenken von einer erloschenen Leidenschaft.

Im Verkehr beobachten sie allerlei kleine Formen der Höflichkeit, die man in Frankreich für übel angebracht halten würde. So z. B. bittet ein Hauptmann seinen Soldaten immer erst um Erlaubnis, ehe er ihn prügelt, und die Inquisition verbrennt keinen Juden, ohne sich deswegen höflich bei ihm zu entschuldigen

Die Spanier, welche man nicht verbrennt, scheinen die Inquisition so gern zu haben, daß man nicht recht bei Troste sein müßte, wollte man sie ihnen rauben. Ich wünschte nur, daß man sie, anstatt gegen die Ketzer, gegen die Erfinder der Ketzereien anwendete, welche kleinen Mönchskniffen dieselbe Wirkung zuschreiben wie den sieben Sakramenten; welche alles anbeten, was sie persönlich hochschätzen, und so übermäßig fromm sind, daß sie kaum noch als Christen gelten können.

Geist und gesunder Menschenverstand fehlt den Spaniern nicht; nur darf man ihn nicht in ihren Büchern suchen. Wenn man in ihren Bibliotheken die Romane und die Scholastiker erblickt, so möchte man glauben, es sei alles von einem geheimen Feinde der menschlichen Vernunft in heimtückischer Berechnung zusammengeschleppt.

Das einzige gute Buch, welches sie besitzen, ist dasjenige, welches die Lächerlichkeit aller übrigen bloßgestellt hat. Die Abenteuer des Don Quixote von La Mancha, wo im sechsten Kapitel die Bibliothek der Ritterromane des Helden kritisiert und dem Feuertode geweiht wird. Aber dies das einzige gute Buch der Spanier zu nennen, war eine Übertreibung; denn sie besaßen schon damals vortreffliche staatswissenschaftliche Werke.

Sie haben in der neuen Welt großartige Entdeckungen gemacht, und doch kennen sie noch nicht einmal ihr eigenes Land. An der Mündung ihrer Flüsse giebt es Häfen, die noch unentdeckt sind, und in ihren Gebirgen leben Volksstämme, Die Bewohner der Battuecas, zweier Gebirgsthäler in Estremadura, sollen bis zum sechzehnten Jahrhundert der Regierung unbekannt geblieben sein, was aber von den Spaniern bestritten wird. von deren Existenz sie nichts ahnen.

Sie sagen, daß die Sonne in ihren Ländern aufgehe und untergehe; aber man muß dazu bemerken, daß sie auf ihrer Bahn nur verwüstete Felder und traurige Einöden bescheint.«

Es würde mich sehr interessieren, Usbek, wenn ich nun als Seitenstück auch einen nach Madrid adressierten Brief aus der Feder eines in Frankreich reisenden Spaniers sehen könnte; ich glaube, er würde sein Volk darin nicht übel zu rächen wissen; denn was für ein weites Feld fände hier ein nachdenklicher Phlegmatiker für seine Kritik! Folgendes wäre nach meiner Vorstellung ungefähr der Anfang seiner Beschreibung von Paris:

»Es giebt hier ein Hans, wo man die Narren unterbringt. Man erwartet, es müsse das größte Gebäude in der ganzen Stadt sein; aber man irrt: das Heilmittel ist gar winzig für eine so verbreitete Krankheit. Ohne Zweifel sperren die Franzosen nur deswegen einige Narren ein, um ihren Nachbarn, bei denen sie so verschrieen sind, weißzumachen, die, welche frei herumlaufen, seien keine Narren.«

Hiermit genug von meinem Spanier. Lebe wohl, mein lieber Usbek.

Paris, am 17. des Mondes Saphar, 1715.



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