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Siebenundsechzigster Brief.
Ibben an Usbek in Paris.

Schon sind drei Schiffe hier angekommen, ohne mir Nachrichten von Dir zu bringen. Bist Du krank? Oder macht es Dir Vergnügen, mich zu beunruhigen?

Wenn Du schon in einem Lande, wo nichts Deine Neigung fesselt, meiner Liebe vergissest, wie wird es dann mitten in Persien und im Schoße Deiner Familie werden? Aber vielleicht bin ich im Irrtum. Du bist liebenswert genug, um überall Freunde zu finden; das Herz ist in jedem Lande daheim: wie also wäre es einer gutgearteten Seele möglich, sich nicht herzlich anzuschließen? Auch von mir kann ich sagen, daß ich die alten Freundschaften in Ehren halte, aber es doch nicht ungern sehe, wenn ich überall neue schließen kann.

In welchem Lande ich mich auch aufgehalten, überall habe ich gelebt, als ob ich immer daselbst bleiben sollte. Überall zog es mich gleichmäßig zu den guten Menschen; überall empfand ich das nämliche Mitleid oder vielmehr die nämliche zärtliche Liebe für die Unglücklichen, dieselbe Hochachtung vor denen, welche das Glück nicht verblendet hat. Das ist mein Charakter, Usbek; überall, wo es Menschen giebt, wähle ich mir unter ihnen meine Freunde. Bei diesem schönen Bekenntnisse eines Kosmopoliten erinnern wir an eine Stelle aus Sterne's »Sentimental Journey«: »Überall ist ein Gegengewicht von Gut und Übel vorhanden, und nur die Kenntnis desselben kann die eine Hälfte der Welt von ihrer Voreingenommenheit gegen die andre befreien. Durch Reisen lernen wir wechselseitige Duldung und durch wechselseitige Duldung wechselseitige Liebe.«

Es lebt hier ein Gueber, Die Guebern (Parsi) sind die Urbewohner des alten Persiens, die nach der Eroberung des Landes durch die Araber (632) von den Persern verfolgt wurden, da sie ihrer Religion treu blieben. Es giebt ihrer nur noch etwa 7000; die meisten wanderten nach dem nördlichen Indien aus. Sie sind größtenteils Kaufleute und europäischer Bildung zugethan. welcher nächst Dir vielleicht den höchsten Platz in meinem Herzen einnimmt. Er ist die Rechtschaffenheit selbst. Besondere Ursachen haben ihn veranlaßt, in dieser Stadt seine Zuflucht zu suchen, wo er mit einer geliebten Frau in Ruhe seinen Unterhalt durch den Betrieb eines anständigen Geschäftes erwirbt. Sein Leben ist eine Kette Von großmütigen Handlungen; und obwohl er die Zurückgezogenheit sucht, wohnt doch mehr Heldenmut in seinem Herzens als im Busen der größten Monarchen.

Tausendma1, habe ich ihm von Dir erzählt, und ich zeige ihm alle Deine Briefe. Er findet sichtliches Vergnügen daran, und ich merke schon, daß Du unbewußt einen Freund erworben hast.

Die beiliegenden Blätter enthalten eine Erzählung seiner merkwürdigsten Schicksale. Obwohl er sich nur mit Widerstreben dazu entschlossen Hat, sie aufzuzeichnen, so konnte er es doch meiner Freundschaft nicht versagen, und ich vertraue sie nun der Deinigen.

Geschichte von Apheridon und Astarte.

Ich bin unter den Guebern geboren, deren Religion vielleicht die älteste auf der Welt ist. Die Religion der Guebern oder Parsen ist die Religion Zoroaster's, der nach Bunsen um 2500 vor Christo gelebt haben soll, jeden früher als 500 v. Chr. zu setzen. Die beiden Hauptmächte in seinem System sind das Licht (Ormuzd) und die Finsternis (Ahriman), die sich unablässig gegenseitig bekämpfen. Dem Ormuzd zur Seite stehen Lichtgeister (Amschaspands und Izebs), und neben Ahriman herrschen Dämonen (Dews). Der religiöse Kultus der Parsen gipfelte in der symbolischen Anbetung des Feuers, daneben auch der Sonne, der Sterne und der Elemente. (Vergl. Spiegel, Das Leben des Zoroaster, 1867. Eine populäre Darstellung giebt Claudius in seiner »asiatischen Vorlesung«, Werke, Bd. 2, Seite 105 ff.) Zu meinem Unglück entwickelte sich die Liebe bei mir früher, als der Verstand. Ich zählte kaum sechs Jahre, als ich ohne meine Schwester schon nicht mehr leben konnte. Immer hingen meine Augen an ihr; und wenn sie mich einen Augenblick verlassen, so schwammen dieselben bei ihrer Rückkehr in Thränen; täglich steigerte sich meine Liebe, je älter ich wurde. Mein Vater war über eine so heftige Leidenschaft erstaunt, und nach alter guter Sitte, wie sie Kambyses bei den Guebern eingeführt, würde er uns gern mit einander verheiratet haben. Aber die Furcht vor den Muhamedanern, unter deren Joche wir leben, verbietet unserem Stamm, an solche heiligen Verbindungen zu denken, die unsere Religion nicht nur gestattet, sondern vielmehr fordert, da sie die Bande des Blutes auf so natürliche Art wiederholen.

Da es also mein Vater für gefährlich hielt, meiner und seiner Neigung nachzugeben, so beschloß er, diese Flamme zu ersticken; denn er glaubte, sie sei erst im Entstehen, während sie in der That schon ihren Höhepunkt erreicht hatte. Er schützte eine Reise vor, auf die er mich mit sich nahm, und ließ meine Schwester bei einer Verwandten zurück, da meine Mutter schon seit zwei Jahren tot war. Ich schweige von meiner Verzweiflung über diese Trennung. Ich umarmte meine Schwester, die ganz in Thränen gebadet war; meine eigenen Augen blieben trocken; denn der Schmerz hatte mich fast betäubt. Wir gelangten nach Tiflis, wo mein Vater meine Erziehung einem unsrer Verwandten anvertraute; er selbst verließ mich und kehrte in die Heimat zurück.

Nach einiger Zeit erfuhr ich, er habe mit Hilfe eines angesehenen Freundes die Aufnahme meiner Schwester in den Beiram Eigentlich türkischer Name zweier religiöser Feste; hier für Harem gebraucht. des Königs bewirkt, wo sie in den Dienst einer Sultanin trat. Es würde kein schwererer Schlag für mich gewesen sein, wenn man mir ihren Tod gemeldet hätte; denn abgesehen davon, daß mir dadurch alle Hoffnung benommen wurde, sie wiederzusehen, war sie durch ihren Eintritt in den Beiram eine Muhamedanerin geworden und konnte mich unter den Vorurteilen dieser Religion nur noch mit Abscheu betrachten. Dennoch kehrte ich, meiner selbst und des Lebens überdrüssig, nach Ispahan zurück; denn es war mir unmöglich, länger in Tiflis zu bleiben. Es waren bittre Worte, die mein Vater von mir hören mußte; ich überhäufte ihn mit Vorwürfen, daß er seine Tochter an einen Ort gebracht, wohin man nur gelangen kann, wenn man seinen Glauben verleugnet. »Du hast den Zorn Gottes und der Sonne, deren Strahlen Dich bescheinen, auf Deine Familie herabbeschworen,« sagte ich zu ihm. »Deine That ist schlimmer, als wenn Du die Elemente befleckt hättest; denn Du hast die Seele Deiner Tochter befleckt, welche wahrlich nicht weniger rein war. Ich werde vor Schmerz und Liebe sterben, und möge mein Tod die einzige Strafe sein, die Gott über Dich verhängt!« Nach diesen Worten ging ich hinaus, und nun verbrachte ich zwei Jahre meines Lebens damit, die Mauern des Beirams anzuschauen und mich in Vermutungen zu ergehen, in welchem Teile meine Schwester sich wohl befinden möchte. Tausendmal lief ich dabei jeden Tag Gefahr, von den Eunuchen, welche um diese furchtbare Stätte die Runde machen, erwürgt zu werden.

Endlich starb mein Vater. Die Sultanin aber, welche die Dienstleistungen meiner Schwester genoß, gewahrte mit wachsender Eifersucht, wie diese täglich schöner wurde, und verheiratete sie mit einem Eunuchen, der sie leidenschaftlich zu besitzen wünschte. So kam es, daß meine Schwester das Serail wieder verließ. Sie bezog mit ihrem Eunuchen ein Haus in Ispahan.

Über drei Monate bekam ich sie nicht zu Gesichte, da der Eunuch, der eifersüchtigste von allen Menschen, mich unter allerlei Vorwänden immer zurückwies. Endlich indessen erhielt ich Zutritt zu seinem Beiram, und er ließ mich durch ein Gitterfenster mit ihr reden. Aber sie war in so dichte Gewänder und Schleier gehüllt, daß selbst Luchsaugen sie nicht hätten erspähen können, und ich vermochte sie nur an ihrer Stimme zu erkennen. Wie tief war ich erregt, als ich ihr so nahe war, und doch so fern! Ich nahm mich zusammen: denn ich wurde beobachtet. Sie ihrerseits schien Thränen zu vergießen. Ihr Mann wollte ein paar elende Entschuldigungen vorbringen; aber ich behandelte ihn wie den niedrigsten Sklaven. Er war sehr betreten, als er merkte, daß ich meine Schwester in einer Sprache anredete, die er nicht verstand; denn ich bediente mich unserer heiligen Sprache, des Alt-Persischen. Diese Sprache ist das Zend, in welchem die heiligen Bücher der Perser geschrieben sind. Sie ist das älteste bekannte Glied des iranischen Zweiges des indogermanischen Sprachstammes. Das Neupersische ist durchaus modernen Urprungs und enthält viele arabische Wörter. Im Jahre 1794 schrieb Kant (siehe Werke, Ausg. Kirchmann, Bd. 6, Seite 165): »Sonderbar ist es, daß die Sprache zweier, weit von einander, noch weiter aber von dem jetzigen Sitze der deutschen Sprache entfernten Länder, in der Benennung der beiden Urwesen (Ormuzd und Ahriman) deutsch ist. Ich erinnere mich bei Sonnerat gelesen zu haben, daß in Ava (dem Lande der Burachmanen) das gute Prinzip Godeman (welches Wort in dem Namen Darius Godomannus auch zu liegen scheint) genannt werde; und da das Wort Ahriman mit dem arge Mann sehr gleichlautet, das jetzige Persische auch eine Menge ursprünglich deutscher Wörter enthält, so mag es eine Aufgabe für den Altertumsforscher sein, auch an dem Leitfaden der Sprachverwandtschaft dem Ursprunge der jetzigen Religionsbegriffe mancher Völker nachzugehen.« Was Kant hier ahnungsvoll andeutet, haben die Sanscrit-Forscher seitdem ergründet, und wir kennen nun den Zusammenhang der Sprachen und wissen, daß Zoroasters Lehre auf die mosaische Schöpfungsgeschichte und die ganze jüdische Theologie und durch diese auch auf das Christentum zeugend gewirkt hat. »Wie, meine Schwester,« sagte ich zu ihr, »ist es wahr, daß Du der Religion Deiner Väter untreu geworden bist? Ich weiß wohl, daß Du Dich zum Muhamedanismus hast bekennen müssen, als Du Aufnahme in den Beiram fandest; aber konnte, wie Dein Mund es that, auch Dein Herz seine Zustimmung geben, daß Du eine Religion verließest, die mir gestattet, Dich zu lieben? Und für wen hast Du sie aufgegeben, diese Religion, die uns so teuer sein sollte? Für einen Elenden, der noch von den Fesseln gebrandmarkt ist, die er getragen hat und, wenn er den Namen eines Menschen verdient, von allen der niedrigste ist!« – »Mein Bruder,« versetzte sie, »der Mann, von dem Du redest, ist mein Gemahl; ich muß ihn ehren, so unwürdig er Dir auch erscheinen mag; und ich würde gleichfalls die niedrigste aller Frauen sein, wenn …« – »Ach, meine Schwester,« unterbrach ich sie, »Du gehörst zum Stamm der Guebern; darum ist er weder Dein Gatte, noch kann er es sein. Wenn Du die Glaubenstreue Deiner Väter bewahrst, so kannst Du ihn nur als ein Ungeheuer betrachten.« – »Ach,« erwiderte sie, »wie fern liegt mir jetzt diese Religion! Kaum kannte ich noch ihre Gebote, als ich sie schon vergessen mußte. Du siehst, daß selbst die Sprache, in der ich zu Dir rede, mir nicht mehr geläufig ist; es kostet mir die erdenklichste Mühe, mich darin auszudrücken. Aber glaube mir, daß die süße Erinnerung an unsere Kindheit mich niemals verläßt, daß ich seit jener Zeit nur noch falsche Freuden genossen habe, und daß kein Tag verging, ohne daß ich Deiner gedachte. Und mehr, als Du ahnst, hast Du zu dieser Ehe beigetragen; denn nur die Hoffnung, Dich wiederzusehen, hat mich dazu bestimmen können. Aber ach, wie viele Leiden wird dieser Tag, der mir schon so große bereitet hat, noch zur Folge haben! Du selbst bist ganz außer Dir, und mein Mann zittert vor Wut und Eifersucht. Ich werde Dich niemals wiedersehen; ich rede gewiß mit Dir zum letzten Male in meinem Leben. Aber dann, mein Bruder, dann wird es nicht mehr lange dauern.« Bei diesen Worten verlor sie ganz ihre Fassung, und da sie sich außer Stande sah, noch weiter zu sprechen, so verließ sie mich als den trostlosesten aller Menschen.

Nach drei oder vier Tagen begehrte ich, meine Schwester von neuem zu sehen. Der Unmensch von Eunuch würde es mir gern verwehrt haben; aber abgesehen davon, daß Ehemänner von seiner Art nicht soviel über ihre Frauen vermögen wie andere Leute, war er so rasend in meine Schwester verliebt, daß er ihr nichts abschlagen konnte. Wiederum sah ich sie an demselben Orte und in der nämlichen Vermummung, und diesmal standen ihr zwei Sklavinnen zur Seite. Ich nahm daher wieder zu unserer besonderen Sprache meine Zuflucht. »Schwester,« sagte ich zu ihr, »warum kann ich Dir nur unter diesen schauderhaften Verhältnissen nahen? Die Mauern, die Dich eingekerkert halten, diese Riegel und Gitter, diese verruchten Spione, die Dich bewachen, bringen mich in Wut. Wie hast Du die süße Freiheit verlieren können, welche Deine Vorfahren genossen? Deine Mutter, die so keusch war, gab ihrem Gatten nur ihre Tugend als Unterpfand ihrer Treue. Beide lebten sie in dem Glücke eines wechselseitigen Vertrauens, und die Einfalt ihrer Sitten war für sie ein tausendmal köstlicherer Reichtum, als der eitle Glanz und Luxus, der Dich in diesem Hause zu umgeben scheint. Mit Deiner Religion hast Du auch Deine Freiheit, Dein Glück und jenes die Gut, die Gleichheit worin die Ehre Deines Geschlechtes besteht, verloren. Aber, was noch schlimmer, Du bist nicht die Frau – denn das kannst Du nicht sein –, sondern die Sklavin eines Sklaven, der unter die Menschen hinabgesunken.« – »Ach, mein Bruder,« erwiderte sie, »mißachte nicht meinen Gatten, mißachte nicht die Religion, die ich angenommen: nach den Lehren dieser Religion beging ich eine Sünde, indem ich Dich anhörte und mit Dir redete.« – »Wie, Schwester, rief ich ganz außer mir, »so glaubst Du an diese Religion?« – »Ach, wie gut wäre es für mich, wenn ich es nicht thäte,« versetzte sie. »Ohne diesen Glauben wäre das Opfer, das ich ihr bringe, zu groß; und wenn meine Zweifel …« Hier brach sie ihre Worte ab. – »Ja, liebste Schwester, Deine Zweifel sind wohlbegründet, welcher Art sie auch sein mögen. Was erwartest Du von einer Religion, welche Dich in dieser Welt unglücklich macht und Dir keine Hoffnung auf eine künftige läßt? Bedenke, »daß die unsrige die älteste von der Welt ist; daß sie immer in Persien geblüht und keinen andren Ursprung hat, als dies Reich, dessen Anfänge niemand kennt. Bedenke ferner, daß der Muhamedanismus nur durch einen Zufall hier eingedrungen, und daß er eine Seite ist, die sich nicht durch Gewinnung der Herzen, sondern mit Waffengewalt ihre Bahn brach. Wären unsere angestammten Fürsten nicht schwach gewesen, so würde der Kultus jener alten Magier Die Priester dieser alten Religion. noch jetzt in Kraft sein. Rufe Dir jene verflossenen Jahrhunderte vor die Seele: da erinnert Dich alles an den Magierdienst, und nichts an die muhamedanische Seite, die noch nach mehreren Jahrtausenden nicht einmal in ihrer Kindheit war.« – »Aber wäre auch meine Religion jünger, als die Deinige,« gab sie mir zur Antwort, »so ist sie wenigstens reiner, da sie nur Gott allein anbetet, während ihr neben ihm noch der Sonne, den Sternen, dem Feuer und selbst den Elementen göttliche Verehrung darbringt.« – »Ich sehe, Schwester, Du hast den Muselmännern unsere heilige Religion verleumden gelernt. Wir beten weder die Gestirne noch die Elemente an, und auch unsere Väter haben sie niemals angebetet. Niemals haben sie ihnen Tempel errichtet, niemals ihnen Opfer gebracht; nur mit andachtsvoller Ehrfurcht, aber ohne Abgötterei, haben sie in ihnen die Werke und Offenbarungen der Gottheit gefeiert. Ein Monotheismus, wie es hier nach Montesquieu scheinen könnte, ist der Parsismus nicht, sondern eher ein dualistischer Polytheismus. Diesen Polytheismus hat ja auch das Judentum und nach ihm das Christentum von Zoroaster geerbt; denn der Teufel ist Ahriman. Aber, meine Schwester, im Namen Gottes, der uns erleuchtet, nimm von mir dies heilige Buch an, welches ich Dir gebracht habe; es ist das Buch unseres Gesetzgebers Zoroaster. Die heiligen Bücher Zoroaster's sind im Zend-Avesta enthalten. Avesta ist der heilige Text, Zend die Auslegung. In dieser Sammlung ist Vendidad das Gesetzbuch. Lies es ohne Vorurteil und laß Dein Herz von den Lichtstrahlen durchdringen, deren Glanz Dich erfüllen wird, wenn Du es liesest. Gedenke Deiner Väter, welche so lange die Sonne in der heiligen Stadt Balkh Balkh, Stadt in Turkistan, wahrscheinlich das alte Bactra. verehrt haben, und gedenke endlich auch meiner, der nur von Deiner Sinnesänderung Ruhe, Glück und Leben erhofft.« Tief ergriffen entfernte ich mich und überließ es ihr, allein über die größte Angelegenheit meines Lebens zu entscheiden.

Nach Verlauf von zwei Tagen kehrte ich zu ihr zurück; aber ich redete sie nicht an, sondern erwartete schweigend aus ihrem Munde mein Urteil über Leben oder Tod. »Du wirst geliebt, mein Bruder,« sprach sie, »und von einer Gueberin. Ich habe lange mit mir gekämpft; aber, ihr Götter, was für Hindernisse weiß die Liebe zu überwinden! Und welche Last ist nun von mir genommen! Ich fürchte nicht mehr, daß ich Dich zu sehr lieben könnte; ich kann meiner Liebe keine Grenzen setzen; selbst ihr Übermaß ist berechtigt. Ach, wie wohl thut mir das im innersten Herzen! Du aber, der Du die Ketten zu zerbrechen verstandest, die mein Geist sich geschmiedet hatte, wann wirst Du diejenigen brechen, die meine Hände gefesselt halten? Von diesem Augenblicke gehöre ich Dir; nimm mich nun schnell in Empfang und zeige dadurch, wie teuer Dir dies Geschenk ist. Bruder, ich glaube die Seligkeit wird mich töten, wenn ich Dich zum erstenmale in die Arme schließe.« –Niemals könnte ich einen Ausdruck für die Freude finden, mit der mich diese süßen Worte erfüllten. Ich hielt mich in einem Augenblick für den glücklichsten aller Menschen, und ich war es in der That. Ich erblickte mich beinahe am Ziele meiner Sehnsucht von fünfundzwanzig Jahren, und all der Kummer, welcher mir das Leben so verbittert hatte, schien vergessen. Aber nachdem der erste Rausch des Entzückens sich ein wenig gelegt, mußte ich doch erkennen, daß ich meinem Glücke noch nicht so nahe war, als der erste Eindruck es mir vorgespiegelt, obwohl ich das größte aller Hindernisse überwunden hatte. Es galt ja, die Wachsamkeit ihrer Hüter zu täuschen. Ich wagte keinem Menschen das Geheimnis meines Lebens zu vertrauen; wir beide mußten das Rettungswerk ganz allein vollbringen. Mißlang mein Versuch, so lief ich Gefahr, gespießt zu werden; aber nicht das machte mir Furcht; das Mißlingen selbst wäre der grausamste Schmerz gewesen. Wir trafen die Verabredung, daß sie eine Uhr von mir holen lassen sollte, ein für sie bestimmtes Erbstück von ihrem Vater. Darin sollte ich eine Feile zum Durchsägen der Eisenstäbe vor ihrem auf die Straße gehenden Fenster und ein in Knoten geschlungenes Seil verbergen. Von nun an sollte ich meine Besuche bei ihr einstellen, aber jede Nacht unter jenem Fenster Wache halten, bis sie ihren Plan zur Ausführung bringen könnte. Fünfzehn ganze Nächte wartete ich dort, ohne daß sie sich blicken ließ, da sie niemals eine günstige Gelegenheit fand. In der sechzehnten endlich vernahm ich das Geräusch einer Feile. Von Zeit zu Zeit wurde die Arbeit unterbrochen, und in diesen Pausen empfand ich eine unsägliche Angst. Schließlich, nachdem sie sich eine Stunde lang abgemüht, sah ich, wie sie das Seil befestigte; sie ließ sich herabgleiten und sank in meine Arme. Ich dachte jetzt nicht mehr an Gefahr, und lange hielt ich sie an meinem Herzen, ohne mich zu rühren. Zuletzt aber zog ich sie fort und brachte sie vor die Stadt, wo schon ein Pferd bereit stand. Ich ließ sie hinter mir aufsitzen und entfernte mich mit aller erdenklichen Hast von einem Orte, der uns so verderblich werden konnte. Vor Tagesanbruch gelangten wir zu einem Gueber, der in seiner Abgeschiedenheit spärlich von seiner Hände Arbeit lebte. Es schien uns nicht angebracht, bei ihm zu bleiben, und auf seinen Rat suchten wir Zuflucht in einem dichten Walde und verbargen uns in dem hohlen Stamme einer alten Eiche, bis das Aufsehen, welches die Entführung meiner Schwester verursacht, sich gelegt hatte. So lebten wir mit einander an dieser abgelegenen Stätte ohne Zeugen unseres Glückes und wiederholten uns wieder und wieder die Versicherungen ewiger Liebe, in Erwartung einer günstigen Gelegenheit, die in unseren heiligen Büchern gebotene Trauhandlung von einem guebrischen Priester vollziehen zu lassen. »O, meine Schwester,« sagte ich zu ihr, »wie heilig ist diese Verbindung! Wie uns schon die Natur verbunden hatte, so wird es nun auch noch unser heiliges Gesetz thun.« Endlich fand sich ein Priester, der unsere liebende Ungeduld stillte. In der Hütte des Landmanns vollzog er alle Ceremonien des Eheschlusses. Er segnete uns und wünschte uns tausendmal Gustaspes' ganze Kraft und Hohoraspes' Hohoraspes, Name des bereits erwähnten, als Gott verehrten sagenhaften Perserkönigs Kambyses. Gustaspes war sein Sohn und Nachfolger und wird gleichfalls als Heros gefeiert. Unter ihm lebte Zoroaster. Heiligkeit. Bald darauf verließen; wir Persien, wo wir uns nicht sicher fühlten, und suchten ein Asyl in Georgien. Dort verlebten wir ein Jahr, während dessen unser Liebesglück täglich seliger wurde. Aber da mein Geld auf die Neige ging, und ich nicht sowohl für mich selbst als für meine Schwester das Elend fürchtete, so verließ ich sie, um bei unseren Verwandten Hilfe zu suchen. Nie ist ein Abschied zärtlicher gewesen. Aber meine Reise war nicht nur vergeblich, sondern hatte die verderblichsten Folgen; denn nachdem ich erfahren hatte, daß einerseits unsere gesamte Habe vom Staate eingezogen worden, und andererseits meine Verwandten fast unvermögend waren, mich zu unterstützen, brachte ich nur gerade soviel Geld zusammen, um die Kosten meiner Heimreise zu decken. Aber in welche Verzweiflung geriet ich, als ich meine Schwester nicht wiederfand! Wenige Tage vor meinem Eintreffen hatten Tartaren die Stadt, in der sie zurückgeblieben war, überfallen; und da sie ihre Schönheit gewahrten, so schleppten sie sie mit sich und verkauften sie an Juden, welche in die Türkei zogen. Nur unsere kleine Tochter, welche sie mir einige Monate vor jener Zeit geboren hatte, ließen sie zurück. Ich eilte den Juden nach, und drei Meilen vor der Stadt holte ich sie ein. Doch vergeblich waren Bitten und Thränen; sie forderten dreißig Tomans Der Wert eines persischen Gold-Tomans ist ungefähr zweiundvierzig Mark. von mir; dabei blieben sie; auch nicht einen einzigen wollten sie davon ablassen. Nachdem ich bei aller Welt Hilfe gesucht und türkische wie christliche Priester um Schutz angefleht hatte, wandte ich mich endlich an einen armenischen Kaufmann. Ich verkaufte meine Tochter und mich selbst an ihn für fünfunddreißig Tomans. Darauf ging ich zu den Juden und zahlte ihnen den Preis von dreißig Tomans; die übrigen fünf brachte ich meiner Schwester, die ich noch nicht wiedergesehen hatte. »Du bist frei, meine Schwester, und ich darf Dich umarmen,« sagte ich zu ihr. »Nimm hier diese fünf Tomans; es thut mir leid, daß man nicht mehr für mich geben wollte.« – »Wie?« rief sie aus; »Du hast Dich verkauft?« – »Ja,« antwortete ich. – »Ach, Unglücklicher, was hast Du gethan? War mein Elend nicht schon groß genug, daß Du es noch steigern mußtest? Deine Freiheit tröstete mich, und Deine Sklaverei wird mich ins Grab bringen. Ach, mein Bruder, wie grausam ist Deine Liebe! Und wo ist meine Tochter? Warum sehe ich sie nicht?« – »Ich habe auch sie verkauft,« erwiderte ich. – Wir zerflossen beide in Thränen und fanden vor Schmerz keine Worte mehr. Endlich suchte ich meinen Herrn wieder auf, und fast gleichzeitig mit mir erschien meine Schwester bei ihm und warf sich ihm zu Füßen. »Ich bitte Dich um die Sklaverei,« sprach sie, »wie andre Dich um die Freiheit bitten. Nimm mich an; Du wirst mich teurer verkaufen können als meinen Gatten.« Und nun kam es zu einem Kampfe, bei dem sich die Augen meines Herrn mit Thränen füllten. »Unseliger,« wandte sie sich zu mir, »dachtest Du, ich könne meine Freiheit um den Preis der Deinigen eintauschen? Herr, Du siehst hier vor Dir zwei Unglückliche, deren Tod es sein wird, wenn Du sie trennst. Ich biete mich Dir an; zahle mir den Preis! Vielleicht wirst Du einstmals für diese Summe und für meinen Diensteifer mir das gewähren, um was ich Dich jetzt noch nicht anzuflehen wage. Es liegt in Deinem eigenen Interesse, uns nicht von einander zu reißen; denn Du darfst gewiß sein, daß sein Leben von unserer Vereinigung abhängt.« – Der Armenier war ein freundlicher Mann, dem unser Schicksal zu Herzen ging. »Dient mir beide mit treuem Pflichteifer,« sagte er, »und ich versichere euch, daß ich euch übers Jahr die Freiheit schenken werde. Ich sehe, daß ihr beide unverschuldet von eurem traurigen Lose betroffen wurdet. Solltet ihr, wenn ihr wieder frei seid, so glücklich werden, wie ihr es verdient, sollte ein freundliches Geschick euch lächeln, so zweifle ich nicht, daß ihr mich für meinen Verlust entschädigen werdet.« Dankbar umfaßten wir beide seine Kniee. Wir begleiteten ihn auf seinen Reisen und erleichterten uns gegenseitig die Lasten der Sklaverei; ich war glücklich, so oft ich meiner Schwester eine Arbeit hatte abnehmen können. Als das Jahr zu Ende ging, gab unser Herr uns frei, wie er versprochen hatte. Wir kehrten nach Tiflis zurück, und ich fand daselbst einen alten Freund meines Vaters, der in dieser Stadt mit Erfolg den Beruf eines Arztes ausübte Er lieh mir eine Geldsumme, wodurch ich in den Stand gesetzt wurde, mir einige Handelsverbindungen zu eröffnen. In der Folge riefen mich Geschäfte nach Smyrna, wo ich mich dauernd niederließ. Seit sechs Jahren habe ich nun hier gelebt, beglückt durch die liebenswürdigste und sanfteste Gefährtin von der Welt. Eintracht herrscht in meiner Familie; mit keinem Könige auf Erden möchte ich tauschen. Ich bin so glücklich gewesen, den armenischen Kaufmann, welchem ich alles verdanke, wiederzufinden, und hatte die Freude, ihm durch bedeutende Dienste meinen Dank beweisen zu können.«

Smyrna, am 27. des zweiten Mondes Gemmadi,1714.



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