Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigster Brief.
Usbek an seinen Freund Ibben.

Wir sind nach einer vierzigtägigen Seereise in Livorno eingetroffen. Diese noch junge Stadt zeugt von dem Unternehmungsgeiste der Herzoge von Toscana, die ein sumpfiges Dorf zur blühendsten Stadt Italiens umgeschaffen haben.

Die Weiber erfreuen sich hier großer Freiheit. Sie dürfen nach den Männern in den Straßen durch eine Art Fenster, die man Jalousien nennt, hinausschauen, können täglich in Begleitung einiger Matronen ins Freie gehen und tragen nur einen Schleier Die Perserinnen tragen vier Schleier.. Ihre Schwäger, Onkel und Neffen dürfen sie besuchen, fast ohne daß der Gatte sich darum bekümmert.

Für einen Muhamedaner ist es ein großartiges Schauspiel, zum erstenmale eine christliche Stadt zu sehen. Ich denke dabei nicht so sehr an das, was zu allererst in die Augen fällt, wie der Unterschied der Architektur, der Tracht und der gewöhnlichsten Gebräuche: sondern in allem und jedem, selbst in den geringfügigsten Kleinigkeiten, ist etwas Besonderes, was ich empfinde, ohne es nennen zu können.

Morgen schiffen wir uns nach Marseille ein, werden uns aber nicht lange daselbst aufhalten. Rica wie ich beabsichtigen, uns von dort unverzüglich nach Paris, der Metropole des europäischen Reiches, zu begeben. Die Reisenden streben immer nach den großen Städten; denn diese sind gleichsam ein gemeinsames Vaterland aller Fremden. Lebewohl und bleibe meiner steten Liebe gewiß.

Livorno, am 12. des Mondes Saphar, 1712.



 << zurück weiter >>