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Hundertunddreißigster Brief.
Rica an ***.

In vorliegendem Briefe will ich Dir einiges von einer Nation erzählen, die den Namen »Neuigkeitskrämer »Die erhabenste Seite des Neuigkeitskrämers ist die politische Kannengießerei.« (La Bruyère, deutsch von Hamel, Bd. I, Seite 29.) führt. Diese Leute versammeln sich in einem prächtigen Garten, Der Tuilerien-Garten. wo ihr Müßiggang immer geschäftig ist. Sie sind sehr nutzlose Mitglieder des Staates, und wenn ihr Redestrom fünfzig Jahre lang in ununterbrochenem Flusse bleibt, so bewirken sie dadurch doch nur dasselbe, was sie auch durch fünfzig Jahre langes Schweigen hätten erreichen können. Indessen betrachten sie sich als wichtige Persönlichkeiten, weil sie sich von großartigen Entwürfen unterhalten und bedeutende Interessen in ihr Gespräch ziehen.

Die Grundlage ihres Geschwätzes ist eine kleinliche und lächerliche Neugierde. Kein Gemach ist so geheimnisvoll, daß sie nicht darüber unterrichtet zu sein behaupteten; zuzugeben, daß ihnen irgend etwas nicht bekannt sei, das wäre ihnen ganz unmöglich. Sie wissen, wie viele Frauen unser erhabener Sultan hat, wie viele Kinder er alljährlich zeugt; und wiewohl sie keine Spione besolden, haben, sie doch genaue Kenntnis von den Maßnahmen, deren er sich bedient, um den Kaiser der Türken und den der Mongolen zu demütigen.

Und kaum haben sie die Gegenwart erschöpft, so stürzen sie sich in die Zukunft, eilen der Vorsehung voraus und benachrichtigen sie über jeden Schritt, den die Menschen thun werden. Sie führen einen Feldherrn bei der Hand, und nachdem sie ihn wegen tausend Dummheiten, die er nicht begangen, belobigt haben, erfinden sie noch tausend weitere für ihn, die er nie begehen wird.

Sie lassen die Armeen wie Kraniche fliegen und die Mauern wie Kartenhäuser fallen. Sie haben Brücken über jeden Fluß, geheime Pässe über alle Gebirge, ungeheure Magazine im brennenden Wüstensande; das einzige, was ihnen fehlt, ist der gesunde Menschenverstand.

Einer meiner Hausgenossen empfing kürzlich von einem Neuigkeitskrämer den folgenden Brief. Wegen seiner Seltsamkeit habe ich ihn aufbewahrt:

»Mein Herr,

»Ich täusche mich selten in meinen Voraussagungen der politischen Ereignisse. Am ersten Januar 1711 prophezeite ich, daß der Kaiser Joseph im Laufe des Jahres sterben würde. Da er sich der besten Gesundheit erfreute, so fürchtete ich freilich, daß ich mir den Spott der Leute zuziehen würde, wenn ich mich vollkommen deutlich ausdrückte; deswegen bediente ich mich einer etwas rätselhaften Sprache. Verständige Leute aber wußten recht gut, was ich sagen wollte. Am 17. April desselben Jahres starb er an den Blattern.

Nachdem der Krieg zwischen dem Kaiser und den Türken erklärt worden war, suchte ich die Herren meines Kreises in allen Winkeln der Tuilerien, versammelte sie an dem Bassin und sagte ihnen voraus, daß Belgrad belagert und eingenommen werden würde. Ich hatte das Glück, meine Vorhersagung erfüllt zu sehen. Allerdings wettete ich gegen die Mitte der Belagerung hundert Pistolen, daß die Festung am 18. August 1717. genommen werden würde, und sie fiel erst am Tage darauf: aber könnte wohl ein Verlust einem Gewinne ähnlicher sein?

Als ich sah, daß die spanische Flotte an der Insel Sardinien landete, mutmaßte ich, daß sie dieselbe erobern würde; ich sprach es aus, und so geschah es in der That. Kühn gemacht durch diesen Erfolg, verkündigte ich des Weiteren, daß die siegreiche Flotte behufs Eroberung des mailändischen Gebietes auch bei Finale landen würde. Da diese Ansicht auf Widerspruch stieß, so wollte ich sie mit Ruhm verteidigen. Ich wettete also fünfzig Pistolen, und ich verlor noch einmal; denn ungeachtet der geschlossenen Verträge schickte der verteufelte Alberoni seine Flotte nach Sicilien und täuschte zu gleicher Zeit zwei große Politiker, den Herzog von Savoyen und mich. Im Utrechter Frieden (1713) war die Insel Sicilien an Savoyen gefallen. Im Jahre 1717 während des Türkenkrieges nahm die spanische Flotte auf Anstiften des Ministers, Kardinal Alberoni, die an den deutschen Kaiser Karl VI. abgetretene Insel Sardinien und 1718 Sicilien. Savoyen mußte daher das letztere im Jahre 1720 mit Sardinien vertauschen, und von da an führten die Herzöge von Piemont und Savoyen den Titel »König von Sardinien«.

Alles dies, mein Herr, zerrüttet meine Vermögensumstände so sehr, daß ich mich entschlossen habe, nur noch zu prophezeien, aber nie mehr zu wetten. Früher kannten wir in den Tuilerien die Sitte des Wettens nicht, und der verstorbene Herr Graf von L. Der Graf von Lionne, der unter Colbert Minister des Äußeren war. wollte sie nicht gestatten; aber seitdem sich eine Schar von Stutzern bei uns eingedrängt hat, wissen wir nicht mehr, woran wir sind. Kaum können wir den Mund öffnen, um eine Neuigkeit zu erzählen, so bietet uns auch schon einer dieser jungen Herren eine Wette dagegen an.

Als ich neulich mein Taschenbuch öffnete und meine Brille auf der Nase zurecht rückte, fiel mir ein solcher Windbeutel genau zwischen dem ersten und zweiten Wort mit der Entgegnung in die Rede: ›Ich wette hundert Pistolen, daß es falsch ist.‹ Ich that, als hätte ich diese Ungehörigkeit gar nicht bemerkt, ergriff mit stärkerer Stimme wieder das Wort und sagte: ›Nachdem der Herr Marschall von *** erfahren hatte …‹ ›Das ist nicht wahr,‹ unterbrach mich der junge Geck; ›Sie haben immer ganz thörichte Neuigkeiten; es ist kein Sinn und Verstand in all' diesem Zeug.‹ Ich bitte Sie, mein Herr, mir das Vergnügen zu machen, mir dreißig Pistolen zu leihen; denn ich gestehe Ihnen, daß diese Wetten mich in große Verlegenheit gebracht haben. Beiliegend sende ich Ihnen die Abschrift von zwei Briefen, welche ich an den Minister geschrieben habe. Ich bin u. s. w.«

Schreiben eines Neuigkeitskrämers an den Minister.

»Gnädigster Herr,

Ich bin der eifrigste Unterthan, welchen der König jemals gehabt hat. Es war auf meinen Antrieb, daß einer meiner Freunde sich veranlaßt fand, jenen von mir entworfenen Plan eines Buches auszuführen, um nachzuweisen, daß von allen Fürsten, welche den Namen ›der Große‹ verdient haben, Ludwig der Große der größte war. Seit langer Zeit bin ich mit einem anderen Werke beschäftigt, das unserer Nation zu noch höherer Ehre gereichen wird, wenn Ew. Gnaden mir ein Privilegium gewähren wollen. Ich gedenke den Beweis zu führen, daß die Franzosen seit Begründung der Monarchie niemals geschlagen worden sind, und daß alles, was die Geschichtschreiber bisher von unseren Niederlagen berichtet haben, auf lauter Betrug beruht. Ich sehe mich genötigt, sie an vielen Stellen zu widerlegen; und ich wage mir zu schmeicheln, daß ich ganz besonders in der Kritik glänze. Ich verharre, gnädigster Herr u. s. w.«

»Gnädigster Herr,

Nachdem wir durch den Tod des Herrn Grafen von L. einen so herben Verlust erlitten haben, bitten wir Sie, uns die Wahl eines Präsidenten gütigst gestatten zu wollen. Unordnung beginnt sich in unsere Konferenzen einzuschleichen, und die Staatsangelegenheiten werden in ihnen nicht mehr mit derselben Gründlichkeit wie früher erörtert. Unsere jungen Leute verweigern den bejahrten Mitgliedern jegliche Rücksicht und halten unter sich selbst keine Zucht; es ist gerade wie im Rate des Rehabeam; die Jugend will sich über die Greise erheben. Es hilft uns nichts, ihnen vorzustellen, daß wir schon zwanzig Jahre, ehe sie auf der Welt waren, uns im friedlichen Besitze der Tuilerien befanden. Ich glaube, sie werden uns endlich noch ganz daraus verjagen und uns nötigen, diese Stätte zu verlassen, wo wir so oft die Schatten unserer französischen Helden angerufen haben. Dann werden wir unsere Konferenzen im Königsgarten oder an einem noch entlegeneren Orte abhalten müssen. Ich verharre …«

Paris, am 7. des zweiten Mondes Gemmadi, 1719.



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