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Vierundfünfzigster Brief.
Rica an Usbek in ***.

Heut Morgen war ich auf meinem Zimmer, welches, wie Du weißt, von denen der Nachbarn nur durch eine ganz dünne und stellenweise schadhafte Wand getrennt ist, so daß man alles hören kann, was im Nebenzimmer gesprochen wird. Jemand, der mit starken Schritten auf und abging, sagte zu einem andren: »Ich weiß nicht, wie es kommt, alles schlägt mir fehl. Länger als drei Tage habe ich nun schon nichts mehr gesagt, womit ich Ehre eingelegt hätte; bei jeder Unterhaltung verschwand ich in der großen Masse; man schenkte mir nicht die geringste Beachtung und richtete keine zweimal das Wort an mich. Ich hatte einige Witze in Bereitschaft, um meine Rede damit zu würzen; aber immer verhinderte man mich, sie anzubringen. Einer hübschen Geschichte, die ich zu erzählen hatte, wich man wie mit Absicht aus, sobald ich darauf hinlenken wollte. Seit vier Tagen schon gehen mir ein paar Bonmots im Kopfe herum, ohne daß ich den mindesten Gebrauch davon hätte machen können. Ich werde den Verstand darüber verlieren, wenn das so fortgeht. Es scheint mir ein unvermeidliches Schicksal, das in den Sternen geschrieben steht. Noch gestern hatte ich vor drei oder vier alten Weibern zu glänzen gehofft, die mir wahrhaftig nicht imponieren; die schönsten Dinge von der Welt wollte ich ihnen sagen. Über eine Viertelstunde bemühte ich mich, das Gespräch in mein Fahrwasser zu lenken; aber sie blieben niemals bei der Sache und zerschnitten wie die unerbittlichen Parzen immer wieder den Faden meiner Rede. Soll ich Dir sagen, was ich denke? Es ist ein schweres Stück Arbeit, sich den Ruf eines Schöngeistes zu erhalten. Ich weiß nicht, wie es Dir damit gelungen ist.«

»Mir fällt etwas ein,« versetzte der andere. »Machen wir gemeinschaftliche Sache, um zu Geist zu kommen; associieren wir uns zu diesem Zwecke! Laß uns täglich miteinander ausmachen, worüber wir sprechen wollen; wenn uns dann jemand in unsrem Gedankengange unterbräche, so könnten wir uns so geschickt gegenseitig beispringen, daß er durch uns selbst wieder angelockt würde; und kommt er nicht gutwillig, so braucht man Gewalt. Wir verabreden auch, wann Beifall ausgedrückt, wann gelächelt und wann aus vollem Halse gelacht werden muß. Du sollst sehen, daß wir bald in jedem Gespräch den Ton angeben, und daß alle Leute unsren funkensprühenden Geist und die Schlagfertigkeit unserer Antworten bewundern werden. Dabei helfen wir uns durch ein wechselseitiges Geberdenspiel. Heute lässest Du Deine eignen Farben glänzen; morgen bist Du mein Sekundant. Trete ich mit Dir in ein Haus, so zeige ich auf Dich und rufe laut: ›Ich muß Ihnen doch die köstliche Antwort erzählen, die der Herr hier soeben jemandem gab, dem wir auf der Straße begegneten.‹ Dann wende ich mich zu Dir mit der Bemerkung: ›Es kam ihm doch ganz unerwartet; er sperrte Mund und Nase auf!‹ Das nächste Mal trage ich ein paar Verse von mir vor, und Du sagst: ›Ich war ja zugegen, als er sie machte. Es war bei einem Abendessen, wo er sie nur so aus dem Ärmel schüttelte.‹ Oft müssen wir uns auch gegenseitig bespötteln. Dann wird es heißen: ›Seht doch, wie sie auf einander einhauen, wie sie sich zur Wehr setzen! Sie schonen einander gar nicht. Wie wird sich dieser wohl herausziehen? Ach, wundervoll! Welche Geistesgegenwart! Das ist ja eine wahre Schlacht!‹ Und niemand wird von den Scharmützeln eine Ahnung haben, in denen wir am Abend vorher uns eingeübt. Zudem müssen wir uns gewisse Bücher kaufen, welche eine Blütenlese von witzigen Gedanken bringen; es giebt nichts Nützlicheres für Leute, welche nicht geistreich sind, aber sich geistreich stellen wollen: auf gute Vorbilder kommt alles an. Ehe sechs Monate vorüber sind, müssen wir imstande sein, stundenlange Unterhaltungen zu führen, die aus lauter Bonmots bestehen. Aber aufpassen muß man, wenn sie Erfolg haben sollen. Es genügt nicht, ein Bonmot einmal fallen zu lassen; man muß es kolportieren und es überall aussäen; sonst ist es verlorene Mühe. Glaube mir, nichts ist so niederschlagend, als wenn man eine hübsche Geschichte erzählt hat und sehen muß, daß sie in dem Ohr des Dummkopfes, der sie hörte, ihr Grab findet. Allerdings gleicht sich die Sache auch oft wieder aus; Ei denn nicht selten entfährt uns etwas recht Albernes, ohne daß man es merkt; und das ist das einzige, was uns in solchem Falle trösten kann. So müssen wir es machen, mein Lieber. Thu', was ich Dir sage, und ich verspreche Dir einen Platz in der Akademie, ehe noch sechs Monate vorüber sind. Denn Du brauchst nicht zu fürchten, daß die Arbeit sehr langwierig sein wird; bist Du einmal so weit gekommen, so magst Du Deine Kunst getrost an den Nagel hängen; ein Mann von Geist wirst Du bleiben, magst Du welchen haben oder nicht. Es ist eine Erfahrung, daß man in Frankreich, sobald man Mitglied eines Vereins wird, auch den Geist desselben, den sogenannten Vereinsgeist, empfängt. Auch Dir wird es so ergehen, und das einzige, was ich für Dich befürchte, ist die allzustürmische Art, wie man Dir Beifall klatschen wird.« Diese satirische Kennzeichnung litterarischer Cliquen zum Zwecke wechselseitiger Ruhmesassekuranz ist eine Vorbereitung die Verspottung der französischen Akademie im 73. Briefe. Wir fügen derselben die Worte Schopenhauers bei: »Zum Vorwärtskommen in der Welt, auch zur Erlangung von Ehrenstellen und Würden, ja, Ruhm in der gelehrten Welt, sind Freundschaften und Kamaraderien bei weitem das Hauptmittel.« (Parerga I, 491.)

Paris, am 6. des Mondes Zilkadeh, 1714.



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