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Vierunddreißigster Brief.
Usbek an Ibben in Smyrna.

Die persischen Frauen sind schöner als die Französinnen; aber die Französinnen sind niedlicher. Es ist schwer, die ersteren nicht zu lieben und an den letzteren nicht sein Vergnügen zu haben; die einen sind zärtlicher und züchtiger; die andren sind heitrer und kurzweiliger.

Es ist das geregelte Leben der Perserinnen, was sie so gesund und schön erhält; denn sie spielen nicht, noch durchschwärmen sie die Nächte; sie trinken keinen Wein und setzen sich fast niemals der Luft aus. Man muß gestehen, daß das Leben im Serail mehr der Gesundheit als dem Vergnügen dient; es hat etwas Einförmiges und entbehrt der prickelnden Reize; überall spürt man Gehorsam und Pflicht; selbst das Vergnügen ist ernst und die Freude gehalten; und man genießt sie fast nur als den Tribut unfreier Abhängigkeit.

Selbst die Männer haben in Persien keinen so heitern Charakter wie die Franzosen; es fehlt ihnen jene Unbefangenheit des Geistes, jener Ausdruck von Zufriedenheit, dem ich hier in allen Ständen und Lebenslagen begegne.

In der Türkei ist es noch weit schlimmer. Dort kann man Familien antreffen, in denen vom Vater auf den Sohn seit Begründung der Monarchie niemand gelacht hat.

Dieses ernsthafte Wesen der Asiaten erklärt sich aus der geringen Geselligkeit, die unter ihnen besteht; sie sehen sich nur, wenn ihr Ceremoniell sie dazu zwingt. Die Freundschaft, dieser beglückende Herzensbund, welcher hier das Leben versüßt, ist ihnen fast unbekannt Diese Auffassung der persischen Charakters ist durchaus irrig. »Freundschaft ist ein Lieblingsthema der orientalischen Dichter,« sagt Emerson (Persian Poetry). Überhaupt aber beweist uns die persische Litteratur, mit der uns Hammer-Purgstall so wohl bekannt gemacht hat, wieviel weltfrohe Heiterkeit in diesem Volke zu finden ist. Wir erkennen dies besonders an Hafiz, dem lebensfreudigen Sänger von Schiras, der so tief auf unsere eigene Dichtung, auf Goethe, Rückert, Platen und Bodenstedt eingewirkt hat. Aber trotz seines belletristischen Geistes hatte Montesquieu für Poesie wenig Verständnis. (Vergl. den 137. Brief, Anmerkung 273.) Der vielbelesene Weber sagt von den Persern: »Ihre Lebhaftigkeit und Geschwätzigkeit macht den vollkommensten Kontrast mit den brittischen Lakonismen der Türken. Die Perser sind unstreitig die geselligsten und witzigsten aller Orientalen, und daher auch ihre Weiber freier als anderwärts.« Auch nennt er sie »diese artigen Franzosen des Morgenlandes.« (Demokritos, Bd. 10, Seite 64).; sie halten sich zurückgezogen in ihren Häusern, wo sie immer eine Gesellschaft finden, von der sie erwartet wurden. Auf diese Weise ist jede Familie sozusagen von allen anderen isoliert.

Ein Franzose, mit dem ich mich über diese Dinge unterhielt, sagte zu mir: »Am anstößigsten unter allen euren Sitten erscheint mir die Notwendigkeit, in der ihr euch befindet, mit Sklaven zu leben, denen die Empfindung ihrer Niedrigkeit unablässig Herz und Gedanken erfüllen muß. Diese erbärmlichen Menschen schwächen in euch den angeborenen Trieb zur Tugend, und sie beginnen dies Zerstörungswerk bereits in früher Kindheit, weil sie schon da euch stets zur Seite sind.

Denn, aufrichtig, wenn Sie die Sache einmal ohne Vorurteile ansehen: Was kann man von der Erziehung erwarten, die man von einem Elenden empfängt, welcher es als ein Ehrengeschäft betrachtet, die Weiber eines anderen zu bewachen, und sich gar noch brüstet mit dem verächtlichsten Amte, das ein Mensch bekleiden kann; der selbst wegen seiner Treue, die seine einzige Tugend ist, Verachtung verdient, weil Neid, Eifersucht und Verzweiflung ihn dazu veranlassen; der danach dürstet, sich an beiden Geschlechtern, deren Auswurf er ist, zu rächen, aber bereit ist, sich von dem stärkeren tyrannisieren zu lassen, vorausgesetzt, daß er wenigstens das schwächere quälen darf; der alles Ansehen seiner Stellung nur seiner Nichtigkeit, seiner Häßlichkeit und seiner Mißgestalt verdankt und nur deswegen Achtung genießt, weil er ihrer unwürdig ist; der endlich, für immer an das Thor geschmiedet, das er zu hüten hat, härter als die Angeln und Riegel, welche es verwahren, sich eines fünfzigjährigen Lebens auf diesem unwürdigen Posten rühmt, wo er, als das Werkzeug der Eifersucht seines Herrn, seine ganze Niederträchtigkeit bethätigt hat?«

Paris, am 14. des Mondes Zilhageh, 1713.



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