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Hundertunddreiunddreißigster Brief.
Rica an ***.

Kürzlich besichtigte ich eine große Bibliothek. Vermutlich ist die Bibliothek Ste-Geneviève gemeint. Im Jahre 1624 von den Genovefanern gegründet, wurde dieselbe im Jahre 1790 Nationaleigentum und 1850 aus dem alten Kloster in das jetzige Gebäude verlegt. Dieselbe befindet sich in einem Kloster, und die Derwische des letzteren sind gewissermaßen ihre Verwalter, haben aber die Verpflichtung, zu gewissen Stunden jedermann den Zutritt zu gestatten.

Als ich eintrat, bemerkte ich einen Mann von gesetztem Äußeren, der inmitten unzähliger an allen Wänden aufgestellter Bände umherging. Ich näherte mich ihm und bat ihn um Auskunft über einige der Bücher, die kostbarer als die übrigen gebunden waren. »Mein Herr,« war seine Antwort, »ich bin hier auf fremdem Gebiet und ohne Bekanntschaften. Man richtet solche Fragen oft genug an mich; aber es leuchtet Ihnen wohl ein, daß ich keine Lust haben kann, alle diese Bücher zu lesen, um den Leuten Rede zu stehen. Doch mein Bibliothekar wird Ihnen mitteilen, was Sie zu wissen wünschen; denn er bringt Tag und Nacht damit zu, alles, was Sie da sehen, zu entziffern. Es ist ein unbrauchbarer Mensch, der uns sehr zur Last fällt, weil er nicht für das Kloster arbeitet. Aber ich höre die Speiseglocke läuten. Wer wie ich das Haupt eines Ordens ist, muß bei allen Übungen der erste sein.« Mit diesen Worten schob mich der Mönch hinaus, schloß die Thür und verschwand wie im Fluge vor meinen Augen.

Paris, am 21. des Mondes Rhamazan, 1719.



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