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Hundertundsiebenundvierzigster Brief.
Der Ober-Eunuch an Usbek in Paris.

Wie jetzt die Dinge hier liegen, kann es nicht länger fortgehen. Deine Frauen leben seit Deiner Abreise in dem Glauben, daß sie völlig ungestraft alles thun dürfen, was ihnen beliebt. Schauderhafte Dinge gehen hier vor; ich selbst kann mich nur mit Zittern zu meinem grausamen Berichte entschließen.

Zelis ließ vor einigen Tagen auf dem Wege zur Moschee ihren Schleier fallen und zeigte sich mit fast unverhülltem Gesicht vor allem Volke.

Zachi überraschte ich, wie sie mit einer ihrer Sklavinnen zusammen schlief; was die Gesetze des Serails so streng verbieten.

Durch den unerwartetsten Zufall von der Welt ist es mir gelungen, einen Brief aufzufangen, welchen ich Dir beilege; es war mir unmöglich, herauszufinden, für wen er bestimmt war.

Gestern Abend wurde ein Knabe im Serailgarten entdeckt; aber er ergriff die Flucht und entkam über die Mauern.

Deine Einbildungskraft wird hinzufügen können, worüber ich in Unkenntnis geblieben bin; denn zweifellos begeht man Verrat an Dir. Ich erwarte Deine Befehle, und bis zu dem glücklichen Augenblick, wo sie mich erreichen, werde ich in Todesängsten schweben. Aber wenn Du mir die Behandlung aller dieser Weiber nicht bedingungslos überlässest, so sage ich für keine einzige von ihnen gut, und täglich werde ich Dir so traurige Nachrichten senden müssen wie heut.

In Deinem Serail zu Ispahan, am 1. des Mondes Rhegeb, 1717. Man beachte die Jahreszahl. Dieser und die acht folgenden Briefe tragen ein früheres Datum als die vorhergehenden und müßten eigentlich zwischen 106. und 138. stehen. Montesquieu hat sie ans Ende gestellt, um dem Roman einen einheitlichen Schluß zu geben.



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