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Neunter Brief.
Der Ober-Eunuch an Ibbi in Erzerum.

Du begleitest Deinen alten Herrn auf seinen Reisen; Du durchziehst Provinzen und Königreiche; der Kummer kann keinen Eindruck auf Dich machen; denn jeder Augenblick zeigt Dir etwas Neues; alles, was Du siehst, ergötzt Dich und vertreibt Dir die Zeit, ohne daß Du es gewahr wirst.

Ganz anders steht es mit mir, der ich, eingesperrt in einem scheußlichen Gefängnis, ohne Unterlaß von den nämlichen Gegenständen umgeben und von dem nämlichen Kummer gequält werde. Ich seufze unter der erdrückenden Bürde fünfzigjähriger Sorgen und Befürchtungen; und ich kann nicht sagen, daß mir während meiner langen Lebenszeit ein heiterer Tag und ein ruhiger Augenblick zuteil geworden.

Als mein erster Herr den grausamen Plan gefaßt, mir seine Frauen anzuvertrauen, und mich durch Versprechungen, denen er durch tausend Drohungen Nachdruck verlieh, gezwungen hatte, mich auf ewig von mir selbst zu trennen, da gedachte ich, müde, mich immerfort mit den beschwerlichsten Arbeiten zu placken, der Ruhe und dem Glücke meine Leidenschaften zum Opfer zu bringen. Unglücklicher, der ich war! Meine bestochene Phantasie zeigte mir die Entschädigung und nicht den Verlust; ich hoffte, daß ich von den Trieben der Liebe befreit werden würde durch die Ohnmacht, sie zu befriedigen. Ach! Man erstickte in mir die Wirkung der Leidenschaften, ohne ihre Ursache zu ersticken; und, weit entfernt, davon befreit zu sein, fand ich mich vielmehr von Gegenständen umgeben, die sie unaufhörlich reizten. Ich kam in das Serail, wo alles die Trauer um meinen Verlust in mir belebte: in jedem Augenblicke fühlte ich mich erregt; tausend natürliche Reize schienen sich meinem Anblick nur zu enthüllen, um mich trostlos zu machen; und, um mein Unglück zu vollenden, hatte ich einen glücklichen Mann fortgesetzt vor meinen Augen. In jener kummervollen Zeit habe ich niemals eine Frau in das Bett meines Herrn geführt, niemals sie entkleidet, ohne mit Wut im Herzen und einer gräßlichen Verzweiflung in der Seele zurückzukehren.

Auf solche Weise habe ich meine elende Jugendzeit verlebt. Ich hatte nur mich selbst zum Vertrauten; all' meinen Unmut, all' meine Schmerzen mußte ich hinunterschlucken.

Und gerade diese Frauen, die ich mich versucht fühlte mit so zärtlichen Augen anzusehen, betrachtete ich nur mit strengen Blicken; ich wäre verloren gewesen, wenn sie mich durchschaut hätten; welchen Vorteil würden sie nicht daraus gezogen haben.

Ich erinnere mich noch, wie ich eines Tages, da ich einer Frau in das Bad half, mich dermaßen hingerissen fühlte, daß ich völlig die Vernunft verlor und eine verbotene Stelle mit meiner Hand zu berühren wagte. Beim ersten Nachdenken glaubte ich, daß dies der letzte meiner Tage sein würde. Doch war ich glücklich genug, einem tausendfältigen Tode zu entrinnen; aber die Schönheit, die ich zur Vertrauten meiner Schwäche gemacht hatte, verkaufte mir ihr Stillschweigen um teuren Preis; ich verlor völlig meine Autorität über sie; und sie hat mich in der Folge zu Zugeständnissen gezwungen, welche mich tausendmal in Gefahr brachten, das Leben zu verlieren.

Endlich ist das Feuer der Jugend erloschen; ich bin alt und finde mich in dieser Hinsicht in einem ruhigen Zustand; ich betrachte die Frauen mit Gleichgültigkeit und erstatte ihnen reichlich alle die Geringschätzung und alle die Qualen, die sie mich haben leiden lassen, zurück. Ich denke immer daran, daß ich geboren wurde, um sie zu beherrschen, und es scheint mir, als ob ich wieder ein Mann werde bei den Gelegenheiten, wo ich ihnen noch befehle. Ich hasse sie, seit ich sie mit kaltem Blute betrachte, und meine Vernunft mich alle ihre Schwächen sehen läßt. Obwohl ich sie für einen Andern bewache, gewährt mir das Vergnügen, sie zum Gehorsam zu zwingen, eine heimliche Freude; wenn ich sie in allem beschränke, so scheint es mir, als ob das für mich selbst geschehe, und ich finde darin immer eine indirekte Genugthuung: ich gebiete in dem Serail wie in einem kleinen Reiche, und mein Ehrgeiz, die einzige Leidenschaft, die mir noch geblieben ist, sättigt sich daran ein wenig. Ich sehe mit Vergnügen, daß alles sich um mich dreht, und daß ich in jedem Augenblicke notwendig bin; ich nehme gern den Haß aller dieser Frauen auf mich, da er mich auf meinem Posten befestigt. Auch haben sie es nicht mit einem Undankbaren zu thun: sie finden in mir ein Hindernis ihrer unschuldigsten Vergnügungen; stets zeige ich mich vor ihnen als eine unerschütterliche Schranke; sie entwerfen Pläne, und ich thue ihnen plötzlich Einhalt; ich rüste mich mit Verweigerungen; ich sträube mich mit Bedenklichkeiten; ich habe nur immer die Worte Pflicht, Tugend, Schamhaftigkeit, Bescheidenheit im Munde. Ich setze sie in Verzweiflung, indem ich ihnen unablässig von der Schwachheit ihres Geschlechts und von der Autorität des Herrn spreche; ich beklage dann, daß ich zu so großer Strenge verpflichtet bin; und ich erwecke den Schein, als wolle ich ihnen begreiflich machen, daß nur ihr eigenes Interesse und eine große Zuneigung zu ihnen mein Verhalten bestimmt.

Doch habe ich auch meinerseits eine unendliche Zahl von Unannehmlichkeiten zu ertragen, und alle diese rachsüchtigen Weiber streben nur danach, die, welche ich ihnen bereite, noch zu überbieten. Sie zeigen mir eine schreckliche Kehrseite. Es besteht zwischen uns gleichsam eine Ebbe und Flut von Herrschaft und Unterwerfung: sie lassen mir stets die erniedrigendsten Geschäfte zufallen; sie affektieren eine beispiellose Verachtung; und, ohne Rücksicht auf mein Alter, lassen sie mich des Nachts zehnmal wegen der geringsten Kleinigkeit aufstehen; unaufhörlich bin ich mit Aufträgen, Befehlen, Geschäften und Launen überhäuft; es hat den Anschein, als ob sie sich gegenseitig ablösen, um mich zu ermüden, und als ob ihre Grillen sich regelmäßig folgen. Zuweilen macht es ihnen Vergnügen, mich zu verdoppelter Sorgfalt zu nötigen; sie lassen mir falsche Mitteilungen zugehen: bald sagt man mir, es habe sich ein junger Mann in der Umgebung dieser Mauern gezeigt; ein andres Mal, daß man Lärm gehört habe, oder auch daß ein Brief eingeschmuggelt werden solle. Alles dies beunruhigt mich; und sie lachen dieser Unruhe; sie sind entzückt, daß ich mich auf solche Weise selbst quäle. Ein andres Mal binden sie mich hinter ihrer Thür an und fesseln mich daselbst Tag und Nacht. Sie verstehen sich gut darauf, Krankheiten zu erheucheln, Ohnmachten, Schreckanfälle; es fehlt ihnen an keinem Vorwande, um mich dahin zu bringen, wohin sie mich haben wollen. Bei solchen Gelegenheiten ist ein blinder Gehorsam und eine grenzenlose Willfährigkeit nötig: eine Weigerung im Munde eines Mannes von meinem Stande würde etwas Unerhörtes sein; und wenn ich zauderte, ihnen zu gehorchen, so würden sie das Recht haben, mich zu züchtigen. Ich würde eben so gern das Leben verlieren, mein lieber Ibbi, als zu dieser Erniedrigung hinabsinken.

Das ist noch nicht alles: niemals bin ich sicher, einen Augenblick die Gunst meines Herrn zu besitzen; denn so viele ihrer sind, so viele Feindinnen habe ich in seinem Herzen, die nur darauf sinnen, mich zu verderben: sie haben ihre Viertelstunden, wo ich nicht gehört werde, Viertelstunden, wo man nichts verweigert, Viertelstunden, wo ich immer Unrecht habe. Ich führe in das Bett meines Herrn Frauen, die mir zürnen: glaubst Du, daß man dort für mich wirke, und daß meine Partei die stärkere sei? Ich habe alles zu fürchten von ihren Thränen, von ihren Seufzern, von ihren Umarmungen und selbst von ihrer Wollust. Sie sind an der Stätte ihrer Triumphe; ihre Reize werden mir schrecklich; die gegenwärtigen Dienste verlöschen in einem Augenblicke allen Dank für meine vergangene Pflichterfüllung; und nichts kann mir für einen Herrn bürgen, der sich nicht mehr selbst gehört.

Wie oft ist es mir begegnet, daß ich mich im Besitze seiner Gunst zur Ruhe legte und in Ungnaden wieder aufstand! Was hatte ich denn begangen an jenem Tage, da ich so unwürdig um das Serail gepeitscht wurde? Ich ließ eine Frau in den Armen meines Herrn: sobald sie ihn entzündet sah, vergoß sie einen Strom von Thränen; sie beklagte sich und brachte ihre Anklagen mit solcher Geschicklichkeit vor, daß sie in demselben Maße zunahmen wie die Liebe, welche sie erweckte. Wie hätte ich mich in einem so kritischen Augenblick halten können? Ich war verloren, als ich mich dessen am wenigsten versah; ich wurde das Opfer eines verliebten Handels und eines Vertrags, den die Seufzer zustande gebracht hatten. Das, lieber Ibbi, ist der grausame Zustand, in welchem ich fort und fort gelebt habe.

Wie glücklich Du bist! Deine Sorgen beschränken sich einzig auf Usbeks Person. Es ist Dir leicht, ihm zu gefallen und Dich bis zum letzten Deiner Tage in seiner, Gunst zu erhalten.

Im Serail zu Ispahan, am letzten des Mondes Saphar, 1711.



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