Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundvierzigster Brief.
Rica an Usbek in ***.

Neulich trat ein Derwisch in höchst auffallender Kleidung zu mir in mein Zimmer. Der Bart reichte ihm bis auf den Strick, den er um seine Hüften geschlungen hatte; er ging barfuß; sein Gewand war grau, aus grobem Stoffe verfertigt und an einigen Stellen ausgezackt. Die ganze Erscheinung kam mir so drollig vor, daß ich beinahe einen Maler hätte holen lassen, um an dem Manne Studien zu einem Phantasiestück zu machen.

Nachdem er sich tief verbeugt hatte, teilte er mir mit, er sei ein verdienstvoller Mann und obendrein ein Kapuziner. »Ich habe gehört, mein Herr,« fuhr er fort, »daß Sie bald an den persischen Hof zurückkehren werden, wo Sie einen hervorragenden Rang bekleiden. Ich möchte Sie daher um Ihre Fürsprache angehen und Sie bitten, uns vom König eine kleine Wohnstätte in der Gegend von Kasbin für zwei oder drei Mönche zu erwirken.« – »Wollen Sie denn nach Persien gehen, ehrwürdiger Vater?« fragte ich ihn. – »Ich, mein Herr?« erwiderte er. »Ich werde mich wohl hüten. Ich bin hier Oberaufseher der Ordensprovinz und würde mit keinem Kapuziner der Welt meine Stelle austauschen.« – »Aber was, zum Kuckuck, wollen Sie denn von mir?« – »Je nun,« antwortete er, »wenn wir dort ein Hospiz hätten, so könnten unsere Ordensbrüder in Italien zwei oder drei Mönche aus ihren Klöstern dorthin senden.« – »Dann vermute ich, daß Sie diese Mönche kennen, nicht wahr?« sagte ich darauf. – »Nein, mein Herr, ich kenne sie nicht« – »Ei, der Tausend! welches Interesse hat es denn dann für Sie, ob sie nach Persien gehen? Was für ein großartiger Plan es ist, daß zwei Kapuziner die Luft von Kasbin atmen sollen! Wie folgenreich würde das für Europa und Asien sein! Es ist höchst notwendig, den Beifall von Monarchen für dies Projekt zu gewinnen; denn es handelt sich ja um wichtige Kolonien. Gehen Sie doch, mein Freund! Sie und Ihresgleichen passen für keinen Klimawechsel; Sie werden am besten thun, bei Ihrem Schmarotzerleben in der alten Heimat zu verharren.«

Paris, am 15. des Mondes Rhamazan, 1713.



 << zurück weiter >>