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Siebenundneunzigster Brief.
Der oberste Verschnittene an Usbek in Paris.

Es sind hier viele gelbbraune Mädchen aus dem Königreiche Visapur eingetroffen. Ich habe eine davon für Deinen Bruder, den Statthalter von Mazenderan, der mir vor einem Monat seinen hohen Auftrag samt hundert Tomans sandte, gekauft.

Ich verstehe mich auf die Weiber, und zwar um so; besser,weil sie keiner schwachen Seite bei mir begegnen, und weil meine Augen nicht durch die Wallungen des Herzens getäuscht werden.

Niemals habe ich eine so regelmäßige und vollkommene Schönheit gesehen. Ihre leuchtenden Augen strahlen Leben über alle ihre Züge und erhöhen die Pracht einer Farbe, welche alle Reize Cirkassiens in den Schatten stellen könnte.

Der Ober-Eunuch eines Kaufmanns aus Ispahan handelte zugleich mit mir um sie; aber sie entzog sich seinen Blicken mit Geringschätzung und schien die meinigen zu suchen, als ob sie mir sagen wolle, ein armseliger Geschäftsmann sei ihrer nicht würdig, und sie sei für einen vornehmen Gatten bestimmt.

Ich gestehe Dir, daß sich eine geheime Freude in mir regt, wenn ich mir die Reize dieser schönen Person vergegenwärtige. Ich muß mir vorstellen, wie sie ihren Einzug in das Serail Deines Bruders hält, und mit stiller Genugthuung ahne ich das Erstaunen aller seiner Frauen, – den stürmischen Schmerz der einen, die stumme, aber noch tiefere Trauer der anderen, den boshaften Trost derer, die nichts mehr zu hoffen haben, und den gereizten Ehrgeiz derer, die noch hoffen.

Einem ganzen Serail am andern Ende des Reiches werde ich ein verändertes Aussehen geben. Welche Leidenschaften werde ich entfesseln! Welche Angst und Pein bereite ich!

Indessen wird trotz der inneren Verwirrung das Äußere so ruhig bleiben wie zuvor. Tief im Herzen werden sich die großen Erschütterungen verbergen; der Gram darf sich nicht zeigen, und die Freude muß an sich halten. Der Gehorsam bleibt pünktlich, die Ordnung unwandelbar wie immer; und unter dem steten Drucke erhebt sich aus den Tiefen der Verzweiflung wieder die Freundlichkeit.

Wir machen die Erfahrung, daß uns unsre Aufgabe um so leichter wird, je mehr Frauen wir zu behüten haben. Ihre Gefallsucht wird zu lebhafterem Wetteifer genötigt; die Leichtigkeit des Zusammenhaltens vermindert sich; mehr Beispiele von Gehorsam stehen ihnen vor Augen: das sind lauter Ketten für ihren Eigenwillen. Unaufhörlich passen die einen auf die Fehltritte der anderen; es scheint, als bemühten sie sich im Einverständnisse mit uns, ihre Abhängigkeit größer zu machen; sie thun fast die Hälfte unsrer Arbeit und öffnen uns die Augen, wenn wir sie schließen. Kurz, sie reizen ihren Herrn unaufhörlich zum Zorn gegen ihre Nebenbuhlerinnen und sehen nicht, wie nahe sie denen stehen, welche die Strafe trifft.

Aber alles, alles dies, erlauchter Herr, ist nichts ohne die Anwesenheit des Gebieters. Was vermögen wir auszurichten mit diesem leeren Schein einer Macht, die uns niemals völlig zu Teil wird? Wir vertreten nur schwach die eine Hälfte Deiner Person, nur eine verhaßte Strenge können wir ihnen zeigen. Du aber, Du milderst die Furcht durch die Hoffnung und herrschest noch unumschränkter durch Liebkosungen, als durch Drohungen.

Kehre also zurück, erlauchter Herr, kehre zurück und erfülle diese Stätte wieder ganz und gar mit den Zeichen Deiner Herrschaft. Komm und besänftige die Qualen der verzweifelnden Leidenschaften; mache ihrer langen Versuchung ein Ende; versöhne die murrende Liebe; hilf, daß selbst die Pflicht wieder liebenswürdig werde; komm endlich und nimm Deinen getreuen Eunuchen eine Last ab, die ihnen mit jedem Tage schwerer wird.

Serail zu Ispahan, am 8. des Mondes Zilhageh, 1716.



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