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Achtzehnter Brief.
Mehemet Ali, Diener des Propheten, an Usbek.

Immer wieder behellige uns die Menschen mit Fragen, die man tausendmal an unsren heiligen Propheten gerichtet hat. Warum leset ihr nicht die Überlieferungen der Schriftgelehrten? Warum schöpft ihr nicht aus diesem klaren Born aller Erkenntnis? Dort würdet ihr die Lösung aller eurer Zweifel finden.

Unselige, die ihr, ewig irregeführt von irdischen Dingen, niemals ernstlich das Auge zu den himmlischen erhoben habt; die ihr den Stand der Mollahs verehrt und es doch nicht wagt, in denselben einzutreten oder seinem Beispiele zu folgen!

Unheilige, die ihr niemals in die Geheimnisse des Ewigen dringt, euer Licht gleicht der Finsternis des Abgrunds, und was euer Geist spitzfindig ergrübelt, ist wie der Staub, den eure Füße aufwirbeln, wenn im heißen Monat Chahban die Sonne im Mittag steht.

Auch reicht der Zenith eures Geistes nicht an den geistigen Nadir des geringsten unter den Imams Imam bedeutet eigentlich »Statthalter Gottes«. Ursprünglich war dieser Titel den zwölf ersten Nachfolgern Muhameds vorbehalten; jetzt aber führen ihn die Vorsteher der Moscheen und die Hüter der Heiligtümer.. Eure eitle Philosophie ist wie ein Blitz, dessen Leuchten die Gewitternacht verkündet. Mitten im Sturme seid ihr und irrend dem Spiele der Winde preisgegeben.

Es ist sehr leicht, Deine Zweifel zu lösen. Ich brauche Dir zu diesem Zwecke nur zu erzählen, was unsrem heiligen Propheten eines Tages widerfuhr, als er, von den Christen versucht, von den Juden auf die Probe gestellt, beide Teile zugleich verstummen machte.

Der Jude Abdias Ibesalon Muhamedanischer Mythus, aus der Sunna. fragte ihn, warum Gott den Genuß von Schweinefleisch verboten habe. »Nicht ohne Ursache,« versetzte der Prophet. »Das Schwein ist ein unreines Tier, und ihr sollt den Beweis davon sehen.« Er formte mit seiner Hand aus Schlamm eine menschliche Gestalt, warf sie auf die Erde und rief ihr zu: »Steh auf!« Sogleich erhob sich ein Mann und sagte: »Ich bin Japhet, der Sohn Noahs.« »War dein Haar bei deinem Tode so weiß wie jetzt?« fragte ihn der heilige Prophet. »Nein,« entgegnete er; »aber als du mich erwecktest, glaubte ich, der Tag des Gerichts sei gekommen. Das hat mich so in Schrecken gesetzt, daß meine Haare plötzlich weiß geworden sind.«

»Erzähle mir jetzt,« gebot ihm der Sendbote Gottes, »die ganze Geschichte der Arche Noahs.« Japhet gehorchte und berichtete umständlich alles, was sich in den ersten Monaten zugetragen hatte. Darauf erzählte er folgendes:

»Wir warfen den Unrat sämtlicher Tiere auf die eine Seite der Arche; dadurch aber legte sie sich so stark auf diese Seite, daß wir in Todesfurcht gerieten, ganz besonders unsere Weiber, die in Heulen und Wehklagen ausbrachen. Unser Vater Noah wandte sich ratsuchend zu Gott, und dieser gebot ihm, den Elephanten herbeizuführen und ihn mit dem Kopfe gegen die sinkende Seite zu kehren. Darauf entledigte sich dies große Tier einer solchen Masse von Unrat, daß ein Schwein daraus entstand.«

Glaubst Du wohl, Usbek, daß wir seit jener Zeit uns seines Fleisches enthalten und es als ein unreines Tier betrachtet haben?

»Aber da nun das Schwein den Mist täglich umwühlte, so verbreitete sich ein derartiger Gestank in der Arche, daß es selber davon niesen mußte, und infolge der Erschütterung sprang aus seinem Rüssel eine Ratte, die alles, was ihr in den Wurf kam, zu zernagen begann. Dies wurde für Noah so unerträglich, daß er sich entschloß, noch einmal Rat von Gott zu erflehen. Als Antwort erhielt er den Befehl, dem Löwen einen starken Schlag auf die Stirn zu versetzen. Darauf nieste auch dieser, und aus seinen Nüstern schlüpfte eine Katze hervor.«

Glaubst Du nun wohl, daß auch diese Tiere unrein Nicht allen muhamedanischen Sekten gilt die Katze als unrein; denn Muhamed versetzte die seinige in den Himmel. sind? Wie denkst Du darüber?

Wenn Du also nicht begreifst, warum gewisse Dinge, unrein sind, so rührt das daher, daß Du über vieles andre in Unwissenheit bist und keine Kenntnis von dem besitzest, was sich zwischen Gott, den Engeln und den Menschen zugetragen hat. Die Geschichte der Ewigkeit ist Dir unbekannt, Du hast die Bücher nicht gelesen, die im Himmel geschrieben sind; was Dir davon offenbart worden, umfaßt nur einen geringfügigen Teil des Schatzes göttlicher Urkunden; und selbst diejenigen, welche, wie wir, demselben allmählich näher kommen, befinden sich doch während ihrer Lebenszeit noch immer in Dunkel und Finsternis. Lebewohl. Möge Muhamed Dein Herz erfüllen.

Kom, am Letzten des Mondes Chahban, 1711.



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