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Zehnter Brief.
Mirza an seinen Freund Usbek in Erzerum.

»Mirza, auszusprechen: Mirsá, ist ein Titel, welcher, einem Eigennamen vorgesetzt, soviel bedeutet wie Schriftkundiger oder Schriftgelehrter, während derselbe Titel, einem Eigennamen nachgesetzt, einen Prinzen von königlichem Geblüte bezeichnet.« (Bodenstedt, Aus dem Nachlasse Mirza Schaffy's, Seite 199).

Du bist der Einzige, der mich für Ricas Abwesenheit entschädigen könnte; und nur Rica vermöchte mich über die Deinige zu trösten. Du fehlst uns, Usbek; Du warst die Seele unserer Gesellschaft. Welcher gewaltsame Riß muß sich vollziehen. damit die Bande sich lösen, die von Herz und Geist geknüpft wurden!

Wir disputieren hier viel, und zwar gewöhnlich über Gegenstände der Moral. Gestern wurde die Frage aufgeworfen, ob das menschliche Glück im Vergnügen und sinnlichem Genusse oder in Ausübung der Tugend bestehe. Oft habe ich Dich sagen hören, die Menschen seien geboren, um tugendhaft zu sein, und die Gerechtigkeit gehöre ebenso notwendig zu ihrem Wesen wie die Existenz. Ich bitte Dich, mir zu erklären, wie Du das verstehst.

Ich habe mit Mollahs Muhamedanische Priester, denen es obliegt, die dunklen Stellen des Korans auszulegen. gesprochen, die mich mit ihren Citaten aus dem Koran in Verzweiflung setzen; denn ich rede nicht wie ein wahrhaft Gläubiger zu ihnen, sondern als Mensch, als Bürger, als Familienvater. Lebewohl.

Ispahan, am Letzten des Mondes Saphar, 1711.



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