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Sechsundzwanzigster Brief.
Usbek an Roxane im Serail zu Ispahan.

Wie gut bist Du daran, Roxane, in dem lieblichen Persien zu leben, anstatt in der Pestluft dieses Landes, wo man weder Scham noch Tugend kennt! Wie bist Du so glücklich! Du lebst in meinem Serail wie in der Heimstätte der Unschuld, sicher vor jedem Frevel der Menschen. Freudig empfindest Du das beglückte Los, keinem Falle ausgesetzt zu sein. Niemals haben eines Mannes lüsterne Blicke Dich befleckt; niemals hat selbst Dein Schwiegervater in der Freiheit der Feste Deinen schönen Mund erblickt; denn niemals bist Du erschienen, ohne ihn mit der geweihten Binde zu verhüllen. Glückliche Roxane! so oft Du vom Lande zurückkehrtest, haben Dich immer Eunuchen begleitet, die vor Dir herschritten, um jeden Verwegenen niederzustrecken, der sich von Deinem Anblick nicht abwendete. Ja ich selbst, dem der Himmel Dich beschert hat, um mich glücklich zu machen, wieviel Mühe hat es gekostet, um mir diesen Schatz zu erobern, den Du mit solcher Standhaftigkeit verteidigtest! Welchen Kummer empfand ich in den ersten Tagen unserer Ehe, Dich nicht zu sehen, und welche Ungeduld, nachdem ich Dich gesehen hatte! Aber dennoch stilltest Du sie nicht; vielmehr reiztest Du sie durch den beharrlichen Widerstand einer erschreckten Schamhaftigkeit; Du behandeltest mich wie alle jene Männer, denen Du Deinen Anblick ewig verbirgst. Erinnerst Du Dich noch des Tages, da ich Dich inmitten Deiner Sklavinnen verlor, die mich täuschten und Dich vor allen meinen Nachforschungen versteckt hielten? Erinnerst Du Dich noch jenes anderen, da Du die Ohnmacht Deiner Thränen erkanntest und das Ansehen Deiner Mutter zu Hilfe riefst, um der Wut meiner Liebe Einhalt zu thun? Denkst Du noch an die Waffe, die Du in Deinem Mute fandest, als alle andren Mittel Dir versagt schienen? Mit gezücktem Dolche drohtest Du, einen Gatten, der Dich liebte, zu opfern, wenn er fortführe, von Dir zu begehren, was Du werter hieltest als selbst den Gatten. Zwei Monate verstrichen in diesem Kampfe zwischen Liebe und Tugend. Ja noch länger dauerte der Widerstand Deiner Keuschheit; selbst nachdem Du besiegt warst, ergabst Du Dich noch nicht: bis auf das Äußerste verteidigtest Du die sterbende Jungfräulichkeit. Du betrachtetest mich wie einen Feind, der Dir einen Schimpf angethan, nicht wie einen Gemahl, der Dich geliebt hatte. Mehr als drei Monate wagtest Du mich nicht anzublicken, ohne zu erröten: Deine Verwirrung schien mir den Vorteil, den ich über Dich errungen, zum Vorwurf zu machen. Und nicht einmal ein ruhiger Besitz war mir vergönnt; denn Du verhülltest mir soviel Du vermochtest von jenen Reizen Deiner Schönheit, und ich war von den höchsten Gunstbezeugungen berauscht, als mir noch die kleinsten versagt blieben.

Hättest Du Deine Erziehung in diesem Lande empfangen, so würdest Du weniger Besorgnis empfunden haben; denn hier haben die Frauen alle Zurückhaltung verloren. Sie zeigen sich den Männern mit unverhülltem Angesicht, als ob sie ihre Niederlage verlangen wollten; sie suchen sie mit ihren Blicken; sie sehen sie in den Moscheen, auf den Spaziergängen und in ihren Behausungen; der Brauch, sich von Eunuchen bedienen zu lassen, ist ihnen unbekannt.

Statt jener edlen Einfachheit und liebenswürdigen Verschämtheit, die unter Euch herrscht, sieht man hier eine brutale Unverschämtheit, an die man sich unmöglich gewöhnen kann.

Ja, Roxane, wenn Du hier wärest, so würdest Du Dich tief beleidigt fühlen durch den schmachvollen Zustand, zu dem Dein Geschlecht hinabgesunken ist; Du würdest diese abscheuliche Stätte fliehen und nach jenem trauten Zufluchtsorte seufzen, wo Du die Unschuld findest, wo Du Deiner selbst sicher bist, wo Du vor keiner Gefahr zu zittern hast, ja, wo Du mich lieben kannst, ohne zu fürchten, daß Du die Liebe, welche Du mir schuldest, jemals verlieren wirst.

Wenn Du den Glanz Deiner Haut durch die schönsten Farben erhöhst; wenn Du Deinen ganzen Leib mit den köstlichsten Wohlgerüchen salbst; wenn Du Dich mit den schönsten Gewändern schmückst; wenn Du Dich vor Deinen Gefährtinnen durch die Anmut des Tanzes und den Wohllaut Deines Gesanges auszuzeichnen suchst; wenn Du in anmutigem Wettstreit mit ihnen um die Palme der Reize, der Lieblichkeit, des Frohsinns ringst: so kann ich mir nicht denken, daß Dich etwas andres treibt, als der Wunsch, mir zu gefallen. Und wenn ich Dich bescheiden erröten sehe, wenn Deine Blicke die meinigen suchen, wenn Du mir durch holde Schmeichelreden das Herz bestrickst, so vermöchte ich, o meine Roxane, an Deiner Liebe nicht zu zweifeln.

Aber was läßt sich von den europäischen Frauen denken? Die Kunst, ihre Haut zu schminken, der Schmuck, mit dem sie sich aufputzen, die Sorgfalt, die sie auf ihr Äußeres verwenden, die Gefallsucht, die sie in beständiger Erregung hält, alles dies sind eben so viele Besudlungen ihrer Tugend und Beschimpfungen ihrer Gatten.

Indessen glaube ich nicht, Roxane, daß ihr frevelhaftes Spiel so weit ginge, als man aus einer derartigen Aufführung schließen könnte, und daß ihre Entsittlichung sich bis zu jenem gräßlichen, schaudererregenden Extrem verstiege, bis zur thatsächlichen Verletzung der ehelichen Treue. Wenige Frauen geraten bis zu diesem Abgrund des Verbrechens; in ihrem Herzen tragen sie alle ein gewisses Abbild der Tugend, welches dort eingegraben ist, weil die Geburt es ihnen verleiht, und welches die Erziehung wohl entstellen, aber nicht gänzlich zerstören kann. Sie mögen sich vielleicht von den äußeren Pflichten, welche die Schamhaftigkeit fordert, entbinden; wenn es sich aber um die letzten Schritte handelt, so setzt sich die Natur zur Wehr. So auch geschieht es nicht aus Furcht vor dem höchsten Grade des Treubruchs, daß wir euch so ängstlich einschließen, euch von so vielen Sklaven bewachen lassen, euren Wünschen, wenn sie zu weit fliegen, einen so starken Zwang anlegen; sondern weil wir wissen, daß die Reinheit niemals zu groß sein, und daß der geringste Flecken sie verderben kann.

Ich bedaure Dich, Roxane. Deine Keuschheit, die sich so lange bewährt hat, verdiente einen Gatten, der Dich niemals verlassen hätte und selbst die Begierden unterdrücken könnte, welche allein Deine Tugend zu bewältigen Kraft hat.

Paris, am 7. des Mondes Rhegeb, 1712.



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