Katharina Elisabetha Goethe
Briefe – Band I
Katharina Elisabetha Goethe

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234. An Goethe

den 24ten September 1795

Lieber Sohn!

Hier kommt der Juden kram – wünsche damit viel Vergnügen! Auch gratulire zum künftigen neuen Weltbürger – nur ärgert mich daß ich mein Enckelein nicht darf ins Anzeigblättgen setzen laßen – und ein öffendlich Freudenfest anstellen – doch da unter diesem Mond nichts Vollkommenes anzutrefen ist, so tröste ich mich damit, daß mein Häschelhans vergnügt und glücklicher als in einer fatalen Ehe ist – Küße mir deinen Bettschatz und den kleinen Augst – und sage letzterem – daß das Christkindlein Ihm schöne Sachen von der Großmutter bringen soll. Das inliegende an Bethmann Metzler habe sogleich besorgt – Auch von Kappel solst du nachricht haben – schickt Bethmann so lang der Kasten offen ist den Credit brief so komt er mit – sonst schicke ich ihn mit der reitenden post. Hier ist alles auf neue in großer Unruhe – die Kayerlichen retiren sich – die Frantzsosen werden bald wieder bey uns seyn – nun trösten uns zwar die sich noch hir befindende Preußen – und sagen die Francken gingen nur durch – und wir hätten unter ihrer Obhut nicht zu befürchten – müßens eben abwarten – ich bin frölich und gutes Muths – habe mir über den gantzen Krieg noch kein grauhaar wachssen laßen – schaue aus meinem Fenster wie die Östreicher ihre krancken auf Wagen fortbringen – sehe dem Getümmel zu – speiße bey offenem Fenster zu Mittag – besorge meine kleine Wirthschaft – laße mir Abens im Schauspiel was daher tragiren – und singe, freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpgen glüht u.s.w. Arbeiten thue ich vor der Hand nicht viel – und wer jetzt einen Brief von mir erhält – kan dick thun – die Witterung ist zu schön – meine Aussicht zu vortreflich – wärest du nicht der Wolfgang – du hättest warten können. Nur einen Augenblick wünschte ich dich jetzt her – vor Getümmel konte ich beynahe nicht fortschreiben – der gantze Roßmarck steht voll Bauern wagen die Stroh und Heu zu Marckte gebracht haben – die Wachtparade der Preußen soll aufziehen es ist auf dem großen platz kein Raum – die Bauern kriegen Prügel u.s.w. Von dem Bockenheimer Thor herein kommen – Wagen mit Betten – die Maintzer flüchten – genug es ist ein Schari wari das Curios anzuhören ist. So eben kommt von Herrn Kappel die Antwort, daß er Burgunder Wein erwartete – so bald er ankomt – will er dir Proben schicken. Lebe wohl! grüße alles was dir lieb ist

Von
deiner treuen Mutter
Goethe.

N. S. mit Verlangen und großem Vergnügen erwarte die Fortsetzung von Willhelm.


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