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Lieber Sohn! Lange schon sehr lange ist es daß wir von Euch mein Bester nichts gesehn und vernommen haben, aber was schadet daß Ihr Seyd in unser Hertz so tief eingeprägt – Euer Andencken ist so im Seegen unter uns – Euer Liebevolles, freundliches Angesicht steht so gegenwärtig vor unsern Augen, daß keine Briefe, keine tode Buchstaben nöthig sind uns zu errinnern daß der herrliche Mensch Lavater in unserm mitte war und unter uns gewandelt hat. Was mir in dieser Werckeltags Welt am wenigsten ansteht, ist, daß die besten Menschen einander gar wenig seyn können – Der plan Gottes erfordert daß der eine in Osten und der andre in Westen die Welt einsaltzen und vor der Fäulnüß bewahren muß – Meine Lieben und Freunde sind alle weit weit von mir weg – meine ewig geliebte Klettenbergern in einer bessern Welt, meine Fahlmern in Emmedingen. Es mögen wohl noch gute Menschen in Franckfurth seyn, villeicht verwundre ich mich einmahl in der Ewigkeit daß ich sie hir verkandt habe – aber vor der Hand, geht doch Frau Aja ihren pfad allein fort.
Was macht Ihr denn lieber bester Sohn? was Eure liebe Frau, sambst Kindern und Freunden? ich hoffe daß alles vergnügt und wohl ist, Gott erhalte Euch dabey Amen.
Mein Mann welcher Sich Euch bestens empfiehlet bedaurert daß Er durch nachstehendes Euch wieder mühe machen muß – aber wenn Ihr die große Ordnung des Herrn Raths bedenckt; so werdet Ihr leicht einsehn was ein defecktes Buch |: zu mahl ein solches wie die Phisioknomick :| vor einen übelstand in seiner Büchersammlung machen muß, und Ihm also nicht übel nehmen wenn Er Euch ersucht nachfolgende stücke etwann einem von den Zürcher Herrn Kauffleuten mit anhero auf die Ostermeße zu geben. Erstlich, die durch Herrn Nüschelern bald möglichst versprochne Kupper zum 4ten theil der Phisioknogmick – zweytens den abgängigen Text zum 3ten theil, welchen Herr Kriegs Rath Merck Ihnen zugesandt, wie auch drittens, noch einige von des Herrn Raths Gesichter, die Herr Schmoll gezeichnet hat.
Noch einmahl, verzeiht die viele mühe und plage.
Euer Bruder Wolf befindet sich Gott sey Danck in Weimar recht wohl – Die Herzogin Mutter war vorigen Somer hir, eine vortreffliche Frau das glaubt mir auf mein Wort – großes edeles Menschengefühl belebt Ihre gantze Seele, aber Sie schwätz und prahlt nicht, wie das so viele falsch empfindsame zu thun gewohnt sind. Nun bester Lavater Gottes Seegen über Euch und alle die Eürigen. Grüßt alles was noch an uns denckt, und Seyd versichert, daß ich biß an das Ende meiner Wallfahrt bin
Eure wahre Freundin u treue Mutter
C. E. Goethe
Franckfurth den 23ten Februar 1779