Katharina Elisabetha Goethe
Briefe – Band I
Katharina Elisabetha Goethe

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111. An Fritz von Stein

Fr. den 16. Mai 1785.

Lieber Sohn! diese Messe war kalt und sehr unfreundlich Wetter, auch ists noch nicht sonderlich behaglich. Den 16. April wäre bald der ganzen Stadt Lust und Freude in Trauer und Wehklagen verwandelt worden. Nach Mitternacht brach in dem neuen, prächtigen Schauspielhause Feuer aus, und wäre die Hülfe eine Viertelstunde später gekommen, so war alles verloren. Der Direktor hat Alles eingebüßt – nichts als sein und seiner 6 Kinder Leben davon gebracht. – In solchen Fällen da ehre mir aber Gott die Frankfurther, – sogleich wurden drei Collekten eröffnet, eine vom Adel, eine von den Kaufleuten, eine von den Freimäurern, die hübsches Geld zusammenbrachten, – auch kriegten seine Kinder so viel Geräthe, Kleider u.s.w. daß es eine Lust war. Da das Unglück das Theater verschont hatte, so wurde gleich 3 Tage nachher wieder gespielt, und zwar »der teutsche Hausvater«, worin der Direktor Großmann den Maler ganz vortrefflich spielt. Ehe es anging, hob sich der Vorhang in die Höh', und er erschien in seinem halbverbrannten Frack, verbundenen Kopf und Händen, woran er sehr beschädigt war, und hielt eine Rede – die ich Ihnen hier schicke – seine 6 Kinder stunden in armseligem Anzug um ihn herum, und weinten alle so, daß man hätte von Holz und Stein seyn müssen, wenn man nicht mitgeweint hätte, auch blieb kein Auge trocken, und um ihm Muth zu machen, und ihn zu überzeugen, daß das Publikum ihm seine Unvorsichtigkeit verziehen habe, wurde ihm Bravo gerufen und Beifall zugeklatscht. Meinem Sohn habe meine Krankheit umständlich erzählt, es war starke Verkältung, bin nun aber wieder recht wohl. Leben Sie wohl, und grüßen meinen Sohn, ich bin ewig

Ihre
wahre Freundin
E. G.


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