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Otto Erich Hartleben an seine Frau Selma

Salzbrunn, Lindenhaus, den 15. August 1889.

Mein liebstes Kind! Was hattu denn? Wo hattu denn Dein Wehwehchen? Armes Nuckelchen! –

Hast Du die Karten von Dei Erich nicht bekommen? Seit Anfang dieser Woche hat er Dir doch täglich eine oder zwei geschickt. Hast Du die nicht bekommen? Ach, Du armes Mädchen! bloß das Telegramm hast Du bekommen? Und Dei Erich hat doch außerdem vier bis fünf Karten geschrieben.

Und Dei Erich ist so lustig, der gemeine Lump! Nicht wahr, er müßte sich eigentlich auch tief unglücklich fühlen, so wie Du Dich tief unglücklich fühlst. Der Mensch ist auch zu schlecht.

Welche Unverschämtheit von ihm, auf Deine Dummheiten nicht einzugehen und nicht zu jammern, wenn Du glaubst, jammern zu müssen.

Ach, meine liebste Selma, was bist Du für ein großes Schäfchen: es wäre, um an den Wänden heraufzulaufen, wenn man sich nicht schon eine so wunderbare, überirdische Geduld im Verkehr mit Deiner Kleinigkeit angewöhnt hätte.

Also mir geht es sehr gut, so gut, daß ich hiermit herzlichst und aus reuevollem Herzen um Verzeihung bitten muß, daß ich mich dazu habe hinreißen lassen, lustig zu antworten, während Du doch alle Veranlassung hast, Dich tiefunglücklich zu fühlen.

Ich hätte bedenken sollen, was mein Weib für ein großes Schäfchen ist, und mich darnach richtend, hätte ich im Grabeston telegraphieren sollen: »Ich hoffe mit dem Leben davonzukommen« oder »Diesmal ist es noch so vorübergegangen« oder »Nur der Schmerz der Sehnsucht nach Dir zehrt an meinen Kaldaunen« oder »Alle Menschen müssen sterben« oder »Du bist verrückt, mein Kind!«

In diesem Sinne verbleibe ich mit herzlichem Gruß und Kuß

Dei tiefunglücklicher Erich.

Bitte, bezahle den Eilboten selbst!

*


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