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Charlotte von Kalb an Jean Paul

»Daß ich meine Lippen auf die Wunden Deines Herzens legen werde. Sei still, liebe Seele!« Ich habe seit gestern um 10 Uhr nichts anderes gedacht.

»Werde ruhig und hoffend!« Sei der ewigen Wahrheit, bei meiner Seligkeit, ich will es werden. Prüfe Dich nur, was Deine Liebe für mich Dir ist. Ob sie Deinem Herzen unentbehrlich ist, ob sie unendlich ist. Es ist mir, als hörte ich nur meine Liebe. Von einem mächtigen Geist vernichtet zu werden, ist viel erhabener als die höchste Ehre, Genuß und Fülle, so die Welt geben kann. O nimm mich auf, damit ich sterben kann, denn ich kann entfernt von Dir nicht leben und nicht sterben.

Heiliger Gott, gib deinem Unsterblichen alles – alle die Seligkeit, die deine Erschaffenen entbehrten, alle die Seligkeit, die sie verkennen! Gib ihm mein Herz, gib ihm meine Wonne! Laß mich nur in seiner Nähe, daß ich sein Antlitz schaue! Laß mir den Schmerz, laß mir die Tränen um ihn!

[Kalbsrieth,] Sonntag, den 16. Juni [1799].

Als ich allein auf der Landstraße fuhr, war mein Gedanke mit wenigen Personen beschäftigt. Ich dachte an Paul zweimal, und den dritten Teil meiner Zeit erfüllten die andern Bekannten meiner Seele. Ach, ich war mir eines solchen freien, ruhigen, voll Liebe und Gedanken erfüllten Gemütes bewußt, daß ich selbst von meinem willenlosen und hoffnungslosen Wesen innigst bewegt war. Ach nein, doch hoffnungsvoll, denn Du wirst mich immer lieben, und was fehlt mir dann zum höchsten Glück, als Deine Gegenwart? Keine Gegenwart hat Bedeutung ohne die Liebe. Kein Wesen hört, keines versteht das andere ohne die Liebe. Sie ist das Licht, ohne das kein sterbliches Wesen eine Seele erkennen kann. Es gibt nichts Schmerzlicheres als die gleichgültige Gegenwart eines Wesens, das sonst uns nahe war, das einst zu unserm Herzen sagte: Du bist mein. »Die Zeit ist vorbei, in der wir nicht liebten, uns nicht kannten, – jetzo ist die Ewigkeit, in der wir's tun«, das ist die schönste Zeile Deiner Hand, die ich besitze. Als ich neulich Deine Briefe wieder las, haben diese Worte einen hohen Mut mir gegeben, und Du hättest schwören können, »ich liebe Charlotte nicht« – ich hätte geschworen, er liebt mich dennoch. Wir werden die Welt verlassen, in der wir uns nicht erkennen und lieben konnten. Du wirst die Geliebten Deines Herzens zu Dir rufen, und unter ihnen auch mich; meine Liebe wird erscheinen dürfen, leicht, gefällig, innig und tätig, huldigend und belohnend. Du wirst mich nicht mehr verkennen, und in dieser Stimmung liegt alles, was meine Seele verlangt ...

Du hast mir oft tiefe Schmerzen gegeben! Dichterbiographen wie Du, das heißt, wie Du allein bist, sehen, fassen, bilden, zeichnen und schaffen tief die Menschheit. Aber die Wirklichkeit eines festen, unzerstörlichen, liebenden Gemüts fassen sie nicht. Ich glaube fast, sie sind besorgt, daß in den Zügen, in der Seele der Menschen etwas ist, was ihren Idealen gleicht. Sie sind eifersüchtig auf die Kinder ihres Gemüts und ihrer Phantasie. Die Wirklichkeit darf ihre Begeisterung nicht erfüllen, sie sind zu stolz und zu mutlos. O, das Herz des Menschen, welch ein stolzes und verzagtes Ding! Ich verzage nicht an meinem Herzen, aber verstummen, erstarren wird es wohl müssen, denn das Herz, die Liebe bildet hier auf Erden nur den Geist zu höheren Begriffen, und mangelnd und unbeseligt wird mein Geist das Leben verlassen. Ja, mein Teurer, ich sage Dir jetzo nicht, wie oft ich gelitten habe, wie zerstörend, so daß ich mein Herz Deiner Gewalt entziehen müßte ( wenn Du es nicht haben willst), als länger den Tod der Liebe so oft zu schmecken. Denn sie erwacht immer wieder in Deiner Gegenwart, ach, leider auch durch Deine Bücher, und ich muß mit St.-Preux sagen: On veut te fuir, le fantôme est dans ton cœur. Du bist nicht schuld daran, ich weiß es wohl, verzeih also meine Klage. – Du bist nicht schuld daran. – Du bist, das weiß mein Herz, und darum will es zu Dir! – Wenn einst glücklicher ich neben Dir ruhe, will ich Dir vieles erzählen, und dann wird die Träne der Wehmut sich mit den Tränen der Freude mischen, dann küssen wir die letzten Zeichen unserer vergangenen Leiden innig von den Wangen, und keine ähnlichen Klagen erpressen wieder diese Zeugnisse einer ewigen Liebe! ...

D. 18. ... Ich denke oft an das Projekt, welches mir in Jena eröffnet wurde. Ich glaube und hoffe, es soll gelingen. Die Gegend ist die reizendste in Deutschland, gute Lebensmittel, schöne Dörfer, eine nahe Meß- und Marktstadt, gute Postkurse, Buchhandlungen in vielen naheliegenden Städten, die reichen Sammlungen von Büchern in Klöstern, reiche Privatpersonen, gefällige Menschen. Dort kann man das Stadtleben mit dem Landleben vereinigen und wegen der häuslichen, friedlichen, aber reichen Einrichtung an den reellen Bedürfnissen Freunde bei sich sehen und bewirten.

Wie, wenn wir gar unserm Herder eine Freistatt bereiten könnten, der von seinen Konsistorialarbeiten sich befreien müßte, eine Pension nehmen und die letzten Jahre des Lebens den Musen und der Ruhe und der Freundschaft widmen? Du mußt wohl merken, daß ich halb schlaftrunken bin. Ich dachte an ihn, weil Du ihn liebst; ich liebe ihn auch, aber mein Herz bedarf nur Liebe und Ruhe; also wünsche ich niemand als Dich für mich.

Der Mann erhält die Ansicht der Gestaltenwelt fast nur durch sein Weib, und er traut der Wirklichkeit selten etwas mehr, als was sie ihm beweisen kann. Diese Erfahrung hat sich bei mir noch nie widersprochen. Alles, was über diese Wesen sich sein Geist vorstellt, gehört zum Idealischen, zum Unnützen, zur Ausartung. So habe ich gemeine Köpfe gekannt, die eine größere Rangordnung unter dem weiblichen Geschlecht fassen konnten, als die feinsten, größten. Ich kenne nichts Trivialeres als die Vorstellung unserer meisten Aufklärer, auch Dichter, über die Frauen – Wieland, Falk u. a. m.

Einige spotten zwar über das gemeine, mißbrauchte und vertändelte Leben der Frauen, aber sie glauben nicht, daß mit einer echten Geisteskultur auch die praktische Tätigkeit an Einsicht, Reinheit, Zweckmäßigkeit und richtiger Würdigung der Dinge nur allein gebildet werden kann.

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