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Heine an Camilla Selden

Süßeste, feinste Mouche! Oder fall ich von Ihrem Siegelring absehen und Sie nach dem Parfüm Ihres Briefes benennen? In diesem Falle müßte ich Sie nennen: »Zierlichste Moschuskatze«.

Ich habe Ihren Brief gestern erhalten, – die pattes de mouche hüpfen mir beständig im Kopfe herum, vielleicht gar im Herzen. Mein lebhaftester Dank für all die Zuneigung, die Sie mir bekunden. Die Übersetzung der Gedichte ist sehr schön, und ich wiederhole, was ich Ihnen vor Ihrer Abreise darüber gesagt habe. Auch ich freue mich, Sie bald wiederzusehen und auf das liebe Schwabengesicht poser une épreinte vivante zu können. Ach, dieser Satz würde eine weniger platonische Bedeutung gewinnen, wenn ich noch ein Mann wäre! Aber ich bin nur noch ein Geist; das mag Ihnen schon ganz recht sein, mir aber behagt es nur so so.

Die französische Ausgabe meiner Gedichte erscheint soeben und macht Furore. Es kann aber immerhin noch zwei oder drei Monate dauern, ehe die noch nicht veröffentlichten Gedichte, z. B. der »Neue Frühling«, in einem der letzten Bände der französischen Ausgabe erscheinen werden. Sie sehen, Sie haben nicht viel versäumt.

Ja, ich freue mich. Sie wiederzusehen, holde Mouche meiner Seele! Die anmutigste der Moschuskatzen und doch zugleich lieblich wie eine Angorakatze, gerade die Art, die ich gern habe.

Früher habe ich lange Zeit die Tigerkatzen geliebt, aber die Sorte ist zu gefährlich, und die épreintes vivantes, die sie manchmal auf meinem Gesicht hinterließen, waren sehr fatal.

Mir geht's immer noch sehr schlecht, fortwährend Widerwärtigkeiten, Wutanfälle, – Wut über meinen verzweifelten Zustand.

Ich bin ein Toter, den es dürstet nach den glühendsten Genüssen, die das Leben gewährt! Es ist entsetzlich.

Lebe wohl! Möge Ihnen das Bad Stärkung und Gesundheit bringen.

Herzliche Grüße
von Ihrem Freunde
Heinrich Heine.

Liebes Kind! Ich gratuliere Dir zum Neuen Jahre und schicke Dir anbei eine Schachtel Schokolade – die wenigstens de bon goût ist. Ich weiß sehr gut, daß es Dir nicht ganz recht ist, wenn ich dergleichen Konvenienzen beobachte, aber es geschieht auch unserer äußeren Umgebung wegen, die in der Nichtbeachtung der üblen Aufmerksamkeit einen Mangel an wechselseitigem Estime sehen würde. Ich liebe Dich so sehr, daß ich für meine Person gar nicht nötig hätte, Dich zu estimieren. Du bist meine liebe Mouche, und ich fühle minder meine Schmerzen, wenn ich an Deine Zierlichkeit, an die Anmut Deines Geistes denke. Leider kann ich nichts für Dich tun, als Dir solche Worte, »gemünzte Luft«, sagen. Meine besten Wünsche zum Neuen Jahr, ich spreche sie nicht aus – Worte!

Ich bin vielleicht morgen imstande, meine Mouche zu sehen, dann lasse ich es ihr wissen. Jedenfalls aber kommt sie übermorgen zu ihrem

Nebukadnezar II.,
ehemaliger königlich preußischer Atheist,
jetzt Lotosblumenanbeter.

*


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