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Wilhelm von Humboldt an Karoline von Dacheröden

[Berlin,] Sonnabend abend, 19. Februar 1791.

Einzig ist diese Zeit, Li. So nah unserm süßesten Glücke hat sie alle Wonnen balderfüllter Hoffnung und alle Qual rastloser Sehnsucht. Wohl nennst Du unsre Zukunft ein einziges Leben; dies ewig gleiche Ringen zwei gleichgestimmter Seelen, alles Höchste und Schönste zu erreichen. Denn so wird's doch in uns sein. Keine Stufe soll unerreicht, keine Blüte ungebrochen bleiben. Du fragst mich, ob ich es will, daß keine Stunde, kein Augenblick uns trenne? Ach! Li, ob ich's will? Wenn ich mir denke, wie es mir war, wenn Du einmal hinausgingst diesen Sommer, wie mir das Herz so ängstlich klopfte, wie ich Gelegenheit suchte, aus der Stube zu kommen, und wie ich Dich suchte durchs ganze Haus. Und wenn Du Dich nur anzogst des Mittags. Wie die Stunde zögerte. Und des Morgens, eh Du kamst! – Ach! ich Glücklicher in jenen wonnereichen Tagen. Wie ich mich damals fühlte, in welcher jugendlichen, schön aufblühenden Kraft. Wie ich empfand, daß der Reichtum, die himmlische Fülle Deines einzigen Wesens auf mich überströmte. Seit ich zum erstenmal an Deiner Seite in der Laube saß, war das die erste, reinste Freude, die Du mir schenktest, daß ich mich gehoben, größer, besser fühlte durch Dich. Versenkt in die Schönheit Deines Wesens, bildsam auf jeden leisesten Wink, Dich anbetend und kindlich Dich liebend, so dacht' ich mich am liebsten zu Dir. Wie ich Dich tiefer sah, wuchsen diese Gefühle; wie ich mehr durch Dich ward, erhielten sie mehr Stärke und Selbständigkeit; wie ich ahndete, daß Du mich liebtest, ward ihnen alle Kraft des seligsten Genusses; wie ich nun weiß, daß Du nun eins bist mit mir, heben sie mich zu Höhen, die sonst kein Sterblicher erreicht. Aber immer bleibt sie sich gleich, diese Empfindung kindlicher Demut, reiner, anspruchloser Anbetung Deiner Schönheit. Nie wird sie hinwelken, diese zarteste, schönste Blüte, die Dein Odem hervorrief. Daß sie aufkeimen konnte in mir, das allein heiligt mein Wesen, das allein ist es, warum ich es wagen darf, Dich zu besitzen. Das Glück, das Du gibst, ist einzig, und nie fühlten Menschen von Menschen, was mein wird durch Dich; es ist niemand, niemand so glücklich als Bill!

Sonntag abend.

Was Du mir von Schiller schreibst, hat mich tief geschmerzt. Daß man die schönsten Wesen hinwelken, die größesten Menschen herabsinken sehen muß. Wenn ich mir ihn denke, wie er war, als ich die vier Tage mit ihm in Jena lebte. Wie voll der glühendsten Empfindungen, wie beschäftigten Herzens, und nun will er, daß man sich einengen, hemmen soll, was die Natur ungehemmt wollte, nun lächelt er über tiefempfundene Wahrheit wie über ein freundliches Wahnbild.

Ich glaube gern, daß Lolo besser und mehr geworden ist. Aber genügen konnte sie Schiller nicht, wie er damals war, und nun hat sie ihn herabgestimmt. Von dieser Schuld kann ich sie nicht freisprechen. Indes, daß Schiller nicht einzig für diese Gefühle geboren sei, das, liebe Li, bemerkt' ich schon in Jena. Vorzüglich fiel mir auf, daß er die Empfindungen andrer nicht genug respektierte, und wenn das ist, dann hat ein Mensch keine reine, lautere Verehrung für dies innere Leben des Herzens. Ich habe damals mancherlei Unterredungen mit ihm gehabt, in denen mir das sehr deutlich war, und deren ich mich noch sehr lebhaft erinnere. Besonders eine über die Verknüpfung der Sinnlichkeit mit der Liebe. Verzeih mir, Li, man muß erst glücklich lieben, um diese Verbindung als schön zu fühlen; und damals, ich – nein, ich wußte es ja noch nicht, daß ich das Dir war. Ich war also dagegen. Ich sagte, es müsse die schönsten, zartesten Fäden zerreißen, es sei zu heterogen, um es anzuknüpfen; allein ich kam vorzüglich darauf zurück, daß es wenigstens nicht bei allen eine Anknüpfung zuließe; bei Weibern am schönsten freilich, wenn es gelänge; allein auch am schwersten. Er behauptete, sie sei immer möglich und immer da, ich fühlte etwas Selbstiges in seiner Art, zu empfinden, und ich ahndete, wenn er auch sein Weib überall glücklich machte, so würde sie darunter leiden. Ich weiß nicht, ob's eingetroffen ist, und ich hoffe, nein! Lolo nimmt alles leichter auf. Mit Lili wär's nicht gut gegangen. Wie die Sachen jetzt sind, ist's für Schillers Ruhe gut, daß er so empfindet. Er wäre minder glücklich mit Lolo, und Lili und Dalberg – ich hab' ihn schon oft in innerer Seele bedauert. Allein ich verstehe auch Lili nun besser. Wahrscheinlich hätte es diese Wendung nicht genommen, wenn nicht Schiller sich so geändert hätte. Gewiß ist jetzt überall ein wahreres Verhältnis. Denn das fand ich immer: Die Empfindung ringt unaufhörlich, zerstört und schafft wieder, bis sie unabänderliche Wahrheit erreicht. Was man Untreue nennt, in den besseren wie in den gewöhnlichen Seelen, ist das Gefühl, sie nicht gefunden zu haben. Nur die beseligende Empfindung der Wahrheit verbürgt die ewige Dauer der Gefühle. Wer empfindet das besser als wir jetzt, teure, holde Li? Wo ist etwas Ewigeres, Unzerstörbareres als in unsrer heiligen Liebe? Alle unendlichen Freuden unsres Zusammenseins fühlt' ich wohl auch sonst, wann auch immer in so viel kleineren, nicht vergleichbaren Graden. Nur dies Gefühl der Unvergänglichkeit in dieser Stärke und Schönheit war mir bisher fremd! Die ganze Dauer unsrer Existenz hindurch wird es uns beseligen, und dankbar werd' ich ewig zu Dir aufblicken und Dir sagen, daß Du mir das gabst!

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