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Jane Welsh an Carlyle

Haddington, den 20. Mai.

Um Gottes willen, warum schreibst Du mir nicht? Ich habe Tag um Tag in der höchsten Ungeduld gewartet, und die aufgeschobene Hoffnung hat nicht nur mein Herz krank gemacht, sondern mich beinahe um meinen Verstand gebracht. Um Himmels willen, schreibe sofort, wenn Du es nicht schon früher getan hast. Ich werde keine Aufgabe lernen, mich zu keiner Beschäftigung niederlassen, ehe ich nicht Deinen Brief habe. Du Unglücklicher, Du kannst nicht begreifen, in welcher Sorge ich um Dich bin. Einmal glaube ich, daß Du krank oder in irgendeiner unangenehmen Lage bist, dann wieder, daß Du meiner müde bist, dann wieder etwas anderes Schlimmes. Kurzum, meine Phantasien wollen kein Ende nehmen. Ich glaube nicht, daß in der ganzen Zeit unseres Briefwechsels eine so lange Pause entstanden ist, außer wenn wir uns stritten. Und diesmal ist es kein Streit. Um meine Verwirrung zu vergrößern, erhielt ich einen Brief von diesem märchenhaften Esel, dem Redner, mit dem größten Unsinn darin. Unter anderem von seiner großen Freude darüber, daß Thomas Carlyle mit ihm diesen Monat zusammenkommen will. Kannst Du damit gemeint sein? Diesen Monat, von dem schon zwanzig Tage vergangen sind. Der Mann muß beim Niederschreiben seiner Geschichte wahnsinnig gewesen sein. Du kannst nie, nie diesen Monat in London sein wollen. Du versprachst vor Deiner Abreise herzukommen in Worten, an denen zu zweifeln gottlos wäre. Seit Wochen habe ich nach Deinem Kommen ausgeschaut. Dir kann es nicht im Traum einfallen, mich so zu enttäuschen. Was würde ich dafür geben, in diesem Augenblick sicher zu wissen, daß Überanstrengung die einzige Ursache Deiner Nachlässigkeit ist. Daß die »Teufel« Dir auf dem Leib sitzen, Dein Buch zu beenden, und daß Du nur deshalb Dich jetzt dem »Meister« hingibst, damit Du um so früher ganz mir angehörst. Ist es nicht schwer? Das ist die einzige nicht schmerzliche Möglichkeit, mir Dein Schweigen zu erklären, und doch kann ich nicht länger als immer nur einen Augenblick daran glauben. Wenn ich sicher wäre, daß alles in Ordnung ist, welch ein wütender Teufel wollte ich gegen Dich sein! Schreibe, schreibe! Dann will ich Dir von meiner Reise nach London erzählen. Jetzt ist mein Herz nicht danach.

Und Byron tot! Ich erfuhr es plötzlich in einem Zimmer voll Menschen. Mein Gott, wenn man mir erzählt hätte, daß die Sonne oder der Mond vom Himmel gefallen wären, es hätte mich nicht mit der Vorstellung einer schrecklichern und entsetzlichern Lücke in der Welt erfüllt als diese Worte: Byron ist tot! Seither ist mir immer ganz kalt und elend zumute, alle meine Gedanken sind von Furcht und Schrecken erfüllt. Ich wollte, Du wärst bei mir. Für immer innig die Deine.

*


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