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Rahel an Varnhagen von Ense

Sonntag vormittag um 10, den 30. Oktober 1808.

Du entzückst mich ja! zu Geliebter! Worauf soll ich denn nun zuerst antworten! ... Du wirst es gewiß nicht raten, worauf ich nun doch zuerst antworten muß! »Daß Sie es so geformt und ausgestellt haben, das, was mir sonst im ›Meister‹ gefiel, ist mir jetzt zum größten Mißfallen.« Solche Worte, mein geliebter Knabe, mein rechtmäßiger Liebling, schreibst Du mir! Was ich jahrelang in mir verheimliche; oder eigentlicher, was keine Worte zum Kleide finden konnte, und keinen Platz zum Auftreten, spinnst Du mir hervor, Du bildsamer Kunstverständiger! ... Und das ist es nicht, was mich entzückt! Nein, was mir den Trost ins Herz gießt, ist die große Freude über diese schwer zu findende Wahrheit! Jeder solche Fund, jedes solches Wort, diese Fähigkeit, macht Dich mir gewiß; versichert Dich mir. Sieh mein ganzes Herz! Ich bin ganz selbstsüchtig: wie zur Beute geht's in mir her, da Du einmal weg von mir bist: da Trennung möglich war! Als gestern Deine Lobströme aus Deinem geliebten Brief über mich kamen, frug ich am Ende, warum ich nicht bescheidener wäre, nicht beschämt? Ich fühlte nichts von dem; nur Befriedigung; ich freute mich. Nein! nein! Da unser Leben nun einmal äußerlich getrennt ist; da es hat sein können, da ich Dir mein Herz und seine Liebe doch nicht reichen kann, da es das Element der Lebenstage zusammengebracht, doch nicht aufnehmen will; mußt Du eingenommen von mir sein! Treibhaushitze muß vorzeitig, verwirrt, matter, oft in Winterluft stärker scheinend, hervorbringen, was große Sonne beachten und gedeihen lassen sollte, zu ihrer eignen Freude. Teurer, Teurer! Vielgeliebter! Es war falsch, daß wir uns trennten. Wir wußten – umgekehrt, wie es andre machen – nicht, wie sehr wir vereinigt sind: wie groß die Vereinigung war; aus jedem unsrer Worte bricht's hervor; aus jedem Augenblick des Entferntseins entwickelt sie sich: in Schmerzen arbeitet sie sich aus unserm Innern hervor. Laß es Dir sagen, mit nichts zu teuer erkauftes Gut! Nur Deine Schmerzen stillen meine: wenn Du mich liebst, ist es mit meinen auch so. Wenn wir uns auch einander ermahnen, ruhig zu sein und zu leben! Nur einen uneigennützigen Gedanken habe ich gehabt, seit Du weg warst. Vor meiner Krankheit ging ich in unsrer Gegend; die Stadt war zu ruppig; eine erstickende Leere; Angst befiel mich – wie am meisten auf der Gasse –, und da rief ich zuerst aus wahrem Herzen: »Nein, es ist gut, daß er wenigstens weg ist und dieser tötende Anblick und Eindruck ihn nicht treffen kann!« Das war das einzigemal. Es ist uns beiden gleich zumute, meiner Seel Geliebter! ...

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