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Sören Kierkegaard an Regine Olsen

Meine Regine! Nun habe ich so vieles von Plato über die Liebe gelesen, und doch gibt es eine Lobrede über sie, die ich höher schätze als summa summarum der von allen jenen Wetteiferern des Gastmahls gehaltenen, oder vielmehr, es gibt eine Liebe, über die ich eine Lobrede halten möchte, zwar nicht bei einem Gastmahl, sondern in der Stille der Nacht, wenn alle schlafen, oder mitten im tobenden Lärm, wenn niemand mich versteht. – In der Stille der Mitternacht; denn der Tag beginnt ja mit Mitternacht; und um Mitternacht erwachte ich, und die Stunden wurden mir lang, denn was ist schnell wie die Liebe? Die Liebe ist das Schnellste von allem, schneller als sie selbst.

Zwei Musikanten ziehn daher
Vom Wald aus weiter Ferne,
Der eine ist verliebt gar sehr,
Der andre wär' es gerne.

Was hier in zwei gesondert ist, das vereinigt die Liebe in einen, er ist auf einmal verliebt, und doch wünscht er es stets zu sein, eine Unruhe, ein Verlangen, eine Sehnsucht macht, daß er in jedem Augenblick das zu sein wünscht, was er in demselben Augenblick ist. Sie überbietet beständig sich selbst, obgleich der andere Bietende sie selbst ist und sie insofern die einzige Bietende ist. In einer seligen Ungeduld bietet sie stets mehr und mehr, weil der Besitz dessen, das ihren Gegenstand ausmacht, jedem Werte inkommensurabel ist. Wie jener Kaufmann verkauft sie alles, um den Acker zu kaufen, in welchem die köstliche Perle lag, und wünscht stets, mehr zu besitzen, um sie teurer zu bezahlen. Wie der Kaufmann jedesmal, wenn er seinen Schatz betrachtet, für sich selbst seufzt: weshalb ward nicht die ganze Welt mein Besitztum, daß ich sie vergeben könnte, um den Schatz zu erwerben, den ich besitze? So besitzt die Liebe nie ihren Gegenstand tot und machtlos, sondern strebt in jedem Augenblicke das zu erwerben, was sie in demselben Nu besitzt. Sie sagt nicht: nun bin ich sicher, nun werde ich mich beruhigen, sie läuft immerfort, schneller als alles andere, denn sie läuft an sich selbst vorbei. Dies Hasten aber, dies Eilen, diese Unruhe, diese Sehnsucht, dies Wünschen, was ist das anderes als die Macht der Liebe, von der Vergessenheit, der Schlaffheit – vom Tode zu befreien. Und was wäre sogar die Glückseligkeit des Himmels ohne Wünsche, ohne den Wunsch, sie zu besitzen; denn es ist nur der nüchterne Verstand, der da meint, es sei töricht, zu wünschen, was man hat. Aber dieser Wunsch redet zwar mit lauter und mit flüsternder Stimme je nach den Umständen, ist aber nie vielzüngig, denn falls ich wünschen dürfte, so weiß ich wohl, was ich wünschen würde, und wenn ich siebenmal wünschen dürfte, so hätte ich doch nur einen Wunsch, obgleich ich ihn mit Freuden siebenmal wünschen würde, wenn ich auch wüßte, daß er mit dem ersten Male erfüllt wäre. Und dieser Wunsch ist eben derjenige, der meine beste Überzeugung ausmacht: daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt noch Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mich von Dir, noch Dich von mir scheiden mag.

Die stehn allein im kalten Wind
Und singen schön und geigen:
Ob nicht ein süßverträumtes Kind
Am Fenster sich wollt' zeigen?

Dein S. K.

Nachschrift. Wenn Du alles Dazwischenliegende vergessen hast, möchte ich Dich bitten, nur die Überschrift und die Unterschrift zu lesen, sie hat, wie ich es selbst empfunden, eine Macht, einzuschläfern und wachzurufen, wie nur wenig Zauberformeln ...

Mai 1841.

Meine Regine! Danke für all die Zeit, die Du auf die Brieftasche angewendet hast, danke für all die Gedankenstickerei, die Dein Geist hervorgezaubert, während Deine Hand aus Perlen sinnreich sichtbare Gebilde schuf, sichtbar, aber somit auch vergänglich, nicht ewig wie jene Arbeit des Gedankens; danke für die Brieftasche; danke für Deinen Wunsch Sonntagnachmittag; danke für Deinen Wunsch Dienstagmorgen; danke, daß Du kamst; danke, daß Du früh kamst; danke, daß Du allein kamst; danke für Deine Freude; danke für Deine Angst.

Ich sende Dir hiemit eine Rose; sie hat sich nicht wie jene Gabe unter Deinen Händen in all ihrer Pracht entfaltet, sondern sie ist unter meinen Händen dahingewelkt; ich war nicht wie Du ein froher Zeuge, wie sich alles entfaltete, ich war ein wehmütiger Zeuge, wie sie mehr und mehr dahinsiechte; ich sah sie leiden; sie verlor den Duft, ihr Haupt ward matt, ihre Blätter senkten sich im Todeskampf, ihre Röte schwand dahin, ihr frischer Stengel verdorrte; sie vergaß ihrer Herrlichkeit, wähnte sich vergessen, und sie wußte nicht, daß ich mich ihrer immerfort erinnerte, sie wußte nicht, daß wir beide insgeheim ihr Andenken bewahrten, wahrlich, hätte sie es gewußt, sie wäre wiederaufgelebt vor Freuden, und wenn ihre Zeit wiedergekommen wäre, dann hätte sie nur einen Wunsch gehegt, und diesen Wunsch erfülle ich jetzt, sie würde wünschen, bei Dir bleiben zu dürfen; denn sie würde sagen: Du sahest mich täglich, und wenn ich Dir auch danke, daß Du meiner nicht vergaßest, so wundert es mich doch nicht, sie aber sah mich nicht, und doch vergaß sie meiner nicht. So erfülle ich also hiermit ihren letzten Willen, sie kehrt zu Dir zurück, wie sie ursprünglich Dir gehörte. Ihr Grab ist weiß und rein, Dein Siegel ist davor gesetzt. Du siehst es vielleicht nicht; es ist aber auch unsichtbar. In Tausendundeiner Nacht wird ein Mädchen beschrieben, das außer anderen Eigenschaften auch einen Mund hatte wie Salomos Siegelring. Wenn ich also meine Lippen an dies Papier drücke, dann schließe ich es nicht mit meinem, sondern mit Deinem Siegel. Zwar weiß ich, wenn irgendwo, so können hier leicht Grenzstreitigkeiten entstehen, ich habe sie aber entschieden. Das Siegel ist Dein, ich aber habe es in Verwahrung. Jedoch in einem Siegelring, weißt Du, stehen die Buchstaben umgekehrt, daher kommt es, daß das »Dein«, mit dem Du der Gewißheit des Besitzes ihre Gültigkeit verleihst, von meiner Seite betrachtet, als ein »Mein« erscheint. Hiermit habe ich dieses Paket versiegelt, und ich möchte Dich bitten, mit der mitfolgenden Rose ebenso zu verfahren, bevor sie in dem Tempelarchiv hinterlegt wird.

Dein S. K.

Hiermit ein Abbild des Siegels.

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