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Lenau an Sophie Löwenthal

Penzing, 22. Oktober 1836, am letzten Abend unseres Zusammenlebens in Penzing. Abends.

Dein Abschiedsröslein liegt neben mir auf dem Tische und duftet so angenehm, als wollte der heutige Tag sein schönes Leben in dieser Blume verhauchen. O, es war ein schöner Tag! Ich habe ihn beschlossen, als ich im Garten von Dir ging. Mir ist es fast lieb, daß ich Dich später nicht mehr allein gesehen habe. Die ungestörten Stunden waren einmal doch schon abgelaufen, und mit ihnen war der Tag vorüber. Fahr wohl, du schöner Tag! du flüchtiger Gast aus einer bessern Welt! Ich möchte weinen um Dich. O liebe Sophie! Das ist ein Tag, an dessen Erinnerung sich Dein Herz klammern soll; ich werde ihn feiern jedes Jahr wie Deinen Geburtstag. Ich habe in Deinem Umgang mehr Bürgschaft eines ewigen Lebens gefunden, als in allem Forschen und Betrachten der Welt. Wenn ich in einer glücklichen Stunde glaubte, jetzt sei das Höchste der Liebe erreicht und die Zeit zum Sterben gekommen, weil ja doch nicht Schöneres mehr nachfolgen könne: so war es jedesmal eine Täuschung, und es folgte eine noch schönere Stunde, da ich Dich noch höher liebte. Diese immer neuen, immer tiefern Abgründe des Lebens verbürgen mir seine Ewigkeit. Ich habe heut' in Deinem schönen Auge die ganze Fülle des Göttlichen erblickt. Ich war glücklich wie nie zuvor. Recht deutlich ward mir heute wieder, daß im Schwellen und Sinken des Auges die Seele atmet. In einem so schönen Auge, wie das Deinige, zeigt sich uns der Stoff, aus welchem einst unser ewiger Leib gemacht sein wird, wie in einer prophetischen Hieroglyphe. Wenn ich sterbe, so geh' ich reich aus diesem Leben, denn ich habe das Schönste gesehen.

Das Abschiedsröslein duftet so angenehm wie ein »Gute Nacht!« von Dir. – Schlaf' wohl, liebes Herz! Bewahre das zweite Röslein zum Andenken. Es war ein schöner Tag! Ich liebe Dich grenzenlos.

Wien, den 10. Juni 1837.

... Glaubst Du, mir liegt nichts an der Neige unserer Zeit? Ich möchte jeden Augenblick festhalten und streicheln und bitten, daß er nicht so schnell an unserm Glück vorübereile. Doch die Zeit ist ein kaltes, seelenloses Ding; sie würde sonst stillhalten bei unserm Glücke und in Freude verloren stehenbleiben. Sie flieht aber, Du legst Dich nieder, löschest Dein Licht aus und schließest die Augen, die mich noch vor einer Stunde so schön und zärtlich anblickten. Warum denn gar so schnell? Die Ewigkeit muß sehr schön und herrlich sein, sonst ist es wahrhaftig nicht der Mühe wert, daß wir ihr so eilig zugetrieben werden, von solchen Freuden weg, wie wir sie heute gehabt. Vorderhand kann ich mir aber den Himmel nicht anders denken, als daß dort sicher und bleibend sein wird, was hier unsicher und flüchtig. Ich male mir's gerne aus, wie es wäre: Meine Luft Dein Atem, mein Licht Dein Auge, mein Trank Dein Wort, meine Speise Dein Kuß, mein Lager Dein Herz, mein Wandel das Reich Gottes mit Dir, mit Dir! Liebe Sophie!

Ich werde Dir in Stuttgart täglich schreiben, weil es Dich so freut, Du sollst ein rechtes Päckchen meiner Plaudereien kriegen. Alles, was ich tu' und erfahre, sollst Du bekommen. Ich will meine Zeit redlich verwenden, um bald wieder bei Dir zu sein. Wär' ich lieber schon wieder da! Gute Nacht, mein Herz! schlaf' wohl!

Guten Morgen! Ich warte an meinem Fenster, um Dich auf Deinem Kirchengange vorbeiwandeln zu sehen. Wie hast Du geschlafen? Meine Uhren stehen, ich weiß die Zeit nicht, aber ein Mädel sagt auf der Straße, es sei halb sieben Uhr, und da mußt Du noch vorbei. Soeben aber seh' ich das Frühstück zu meinem Nachbarn Panovski tragen und glaube fast, daß es schon später ist. Oder sollte meines Nachbarn Magen früher auf sein als Deine Andacht? Frühstücke heute bei mir, liebes Herzerl! Wenn Du vorbeigehst, komm herein.

Wien, 14. Juni 1837.

Halte nur unsern heutigen Abendgang recht fest in Deinem Gedächtnis, wenn Ungeduld Dich überfällt und Kummer Dich bezwingen will. Unsere Liebe ist einmal gewissermaßen eine unglückliche, und wir wollen unverdrossen und mutig die stille, heimliche Tragödie, in der niemand spielt und zuschaut als unsere blutenden Herzen, bis an unser Ende fortführen. Vielleicht, ja gewiß gewinnen wir dann einst den Beifall der Himmlischen. Ich habe Augenblicke, in welchen ich vergehen möchte vor Schmerz über unser Los; aber ich habe auch andre, wo mir unser Unglück teuer ist, weil ich mir denke, Du würdest mich vielleicht weniger lieben, wenn Dein Gefühl nicht unter Gefahren und Schmerzen ausgewachsen wäre. Vielleicht müssen zwei Herzen erst aufgeschnitten werden, wenn sie ganz zusammenwachsen sollen? Wir haben unsre blutenden Stellen aneinandergelegt und müssen so festhalten, wenn wir uns nicht verbluten wollen. O, ich will Dich halten! Du wirst mich auch halten, ich weiß es ...

Stuttgart, 18.Oktober 1844.

Sie werden meiner Gesundheit wegen in großer Sorge sein. Vernehmen Sie zu Ihrer Beruhigung, daß ich mich heute so wohl fühle, daß ich meine Reise nach Ischl unternehme nach Tische. Hohe Herrschaften waren so gnädig, meiner Lage, die allerdings eine der traurigsten ist, ihre Teilnahme zuzuwenden ...

Ich beschwöre Sie, den gewissen Entschluß, falls ich sterben sollte, nicht auszuführen. Denken Sie an Ihre Kinder, an Ihren alten Vater, an mich, meine Ehre, meinen Namen, der bisher so rein gewesen. Leben Sie fort meinem Andenken, das, wenn Sie mich jemals geliebt haben, für Sie reizend genug sein wird, Sie im Leben zurückzuhalten. Endlich vergessen Sie nicht, daß Selbstmord das grausamste Verbrechen ist. Sie würden, wenn Sie das entsetzliche Vorhaben ausführten, nichts erreichen, als daß unsere Liebe nebst dem, daß sie eine unglückliche, vielleicht wie keine, war, daß, sage ich, unsere Liebe – auch eine beschmutzte und beschimpfte würde. Fassen Sie sich in jenem nicht wahrscheinlichen Falle mit der Größe der Seele, die Sie an andern erprobten.

Auf Wiedersehen hier und dort ...

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