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Johann Anton Leisewitz an Sophie Seyler

Braunschweig, Sonntags, den 15. Februar 1778.

Meine gute Sophie! Endlich ertappe ich doch einmal eine Stunde, um an Dich zu schreiben, und kein Geschäft soll mich davon abhalten. Sagt die Bibel nicht selbst: »Sechs Tage sollst du arbeiten und den siebenten an dein Mädchen schreiben«? Überdem bin ich heute so wohl, so munter, daß Dir der Morgen natürlicherweise zugehört, da er einer der besten ist, die ich in langer Zeit gehabt habe. Wenn ich mich müßt gearbeitet habe, so ist es mir wirklich zuwider, Dir in einer noch übrigen Viertelstunde einen matten Brief zu schreiben. Das heißt, wie die Theologen von den Bekehrungen im Alter sagen, dem lieben Gott geben, was der Teufel übriggelassen hat. Die Sonntagsmorgen sind mir überhaupt so angenehm, das ist der Geburtstag unserer Liebe. Ich erinnere mich so oft des Ganges aus dem Boskett, vor dem Haufe vorbei, den Garten links hinauf in die Orangerie; an das Zittern; an den Kuß! Das waren Zeiten! – Doch sie werden wiederkommen. Es wird so gut wieder Frühling werden, als es damals war, ungeachtet es jetzt Winter ist. – Dergleichen Gedanken, an denen ich mein Glück wiederhole, sind mir jetzt die angenehmsten; Deine Briefe bei Tage und meine Träume des Nachts ausgenommen, weil ich es in den letzteren vergesse, daß ich von Dir getrennt bin. Wie oft bin ich schon mit Dir im Elysium gewesen, wie oft auf Deinem Zimmer in dem Sofa – ohne aus dem Bette gekommen zu sein –, auf dem Du einmal gesessen hast.

Allein es kann mich mit einem Male niederschlagen, wenn ich daran denke, daß das Auge, das mir vor einigen Stunden in der Phantasie so feurig winkte, jetzt wirklich in Tränen ist. Mädchen, begreife doch endlich, daß das ein sehr kleines Übel ist, von dem man das Ende – und zwar so nahe – sieht. Doch wünschte ich, daß Du mir das Viele, was Du mir zu sagen hast, jetzt schriebest und nicht auf eine mündliche Unterredung verschöbest. Wir hätten alsdann reine Bahn gemacht und von nichts als von Vergnügen, von Zukunft zu reden. Ich freue mich, daß es beinahe nicht länger hin ist, daß ich Dich sehen werde, als es her ist, daß ich Dich nicht gesehen habe. Damit ist doch der erste Akt unserer Trennung geschlossen.

Die Messe, die wir gehabt haben, hat mich ziemlich zerstreut. Das Gewimmel von so vielen Leuten, worunter doch einige Bekannte sind, ist in der Tat angenehm, und ich freue mich immer, wenn ich etwas Angenehmes in Braunschweig entdecke, weil es einmal Dein Wohnplatz werden wird. Daß ich mich zuweilen zerstreue und die Gelegenheiten aufsuche, die das Leben mannigfaltiger machen, davon kann Dir das ein Beweis sein, daß ich vor einigen Tagen mit einer Gesellschaft in einen der elendesten hiesigen Bauernkrüge ging, um in einem erbärmlichen Marionettenspiele zu sehen, wie der Prinz Castilio aus Castilien seine Prinzessin Emilia von einem ungeheurigen Drachen erlöset; welches Stück mit vielen geistreichen und lieblichen Reden des kleinen und großen Hanswurstes durchwirkt ist. Hierzu ward Bier aus irdenen Krügen getrunken und Tabak geraucht.

Und nun, wer glaubst Du, wer diese Gesellschaft gewesen wäre? – Lessing, die Professoren Eschenburg und Schmid, die Kammerherren Graf Marschall und von Kuntsch, nebst Deinem gehorsamsten Diener.

Wir hatten uns vorgenommen, eine recht gemeine Wirtschaft zu treiben, und man muß gestehen, daß uns das vortrefflich gelang.

Das war noch ein Liebhaber, dieser Prinz Castilio! Es tut mir beinahe leid, daß die Zeiten vorbei sind, in denen Du grausam gegen mich warst; ich könnte jetzt sonst vieles wieder gebrauchen, was der Prinz seiner grausamen Prinzessin sagte. – O, es ist tausend schade, daß Du nicht mehr »Tigerbrüste saugest und kein Herz von Demant« mehr hast! –

Und nun leben Sie wohl, schönste Prinzeß Sophia von Hamburg. Sei'n Sie versichert, daß kein Prinz seine Prinzessin, und kein Bettler seine Bettlerin zärtlicher liebt als

meine Prinzessin Sophia
Dero Sklav'
Leisewitz.

*


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