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Rousseau an seine Frau Therese

Monquin, Sonnabend, den 12. August 1769.

Während der sechsundzwanzig Jahre unserer Vereinigung, meine liebe Freundin, habe ich nur mein Glück in dem Deinigen gesucht, habe ich mich nur damit beschäftigt, zu versuchen, Dich glücklich zu machen. Und an meiner letzten Handlung hast Du gesehen, obwohl ich mich nie dazu verpflichtete, daß mir Deine Ehre ebenso teuer ist als Dein Glück. Mit Schmerz bemerkte ich, daß der Erfolg nicht mit meiner Fürsorge übereinstimmt, und daß es für Dich weniger angenehm war, sie zu empfangen, als mir, sie Dir angedeihen zu lassen. Ich weiß, daß sich die Gefühle der Rechtschaffenheit und Ehre, die Dir angeboren sind, nie in Dir verändern werden; was indes die Zärtlichkeit und Zuneigung betrifft, die einst gegenseitig waren, so fühle ich, daß sie nur noch auf meiner Seite vorhanden sind. Meine liebe Freundin, Du hast nicht allein aufgehört, Dich mit mir wohlzufühlen, sondern Du mußt Dich sogar sehr überwinden, um ein paar Augenblicke aus Gefälligkeit bei mir zu bleiben. Mit aller Welt fühlst Du Dich wohl, ausgenommen mit mir; alle, die Dich umgeben, kennen Deine Geheimnisse, nur ich kenne sie nicht, und Dein einziger wahrer Freund ist der Einzige, der von Deinem Vertrauen ausgeschlossen ist. Von andern Dingen gar nicht zu reden. Man muß seine Freunde mit ihren Fehlern nehmen, und ich übersehe die Deinigen, wie Du die meinigen übersiehst. Wenn Du glücklich mit mir wärest, würde ich sehr froh sein; aber ich sehe deutlich, daß Du es nicht bist, und das zerreißt mir das Herz. Wenn ich etwas tun könnte, um dazu beizutragen, ich würde es gern tun und schweigen, aber das ist nicht möglich. Ich habe, glaube ich, nichts versäumt, was zu Deiner Glückseligkeit hätte beitragen können, und wüßte nicht, was ich noch tun sollte, wie sehr ich es auch wünschte. Als wir uns vereinigten, stellte ich meine Bedingungen. Du hast sie gebilligt, ich habe sie erfüllt. Nur eine zärtliche Zuneigung Deinerseits, und unsere Liebe konnte mich veranlassen, diese Bedingungen zu überschreiten, und ich gehorchte der Stimme unserer Liebe auf Kosten meines Lebens und meiner Gesundheit. Du mußt zugeben, meine liebe Freundin, daß Dich von mir entfernen nicht mich Dir näher bringen heißt: und dennoch war dies meine Absicht, ich schwöre es Dir! Deine Erkaltung nur hielt mich zurück, und herausfordernde Sticheleien genügen nicht, mich anzuziehen, wenn das Herz mich abstößt. Noch in diesem Augenblick, in dem ich Dir schreibe, von Schmerz und Kummer zerrissen, habe ich keinen lebhafteren, aufrichtigeren Wunsch, als meine Tage mit Dir in vollkommener Einigkeit zu beschließen und nur ein Herz und eine Seele zu sein.

Nichts gefällt, nichts ist angenehm von dem, den man nicht liebt. Darum sind auch alle meine Bemühungen, alle meine Fürsorge für Dich, wie ich es auch anfangen mag, unnütz. Das Herz, meine liebe Freundin, läßt sich nicht befehlen, und dafür gibt es kein Mittel. Wie aber auch mein Verlangen sein mag, Dich glücklich zu sehen, und um welchen Preis, ich würde doch niemals daran gedacht haben, mich von Dir zu entfernen, wenn du nicht die erste gewesen wärest, die einen solchen Vorschlag gemacht. Ich weiß wohl, daß man dem, was in der Hitze eines Streites gesagt wird, nicht zuviel Gewicht beilegen darf, aber du bist so oft darauf zurückgekommen, daß es einen gewissen Eindruck auf mich gemacht hat. Du kennst mein Schicksal: es ist derartig, daß man es kaum jemandem zu beschreiben wagt, weil es doch niemand glauben würde.

Ich habe, teure Freundin, nur einen Trost, aber der ist sehr süß: mein Herz in das Deinige zu ergießen. Wenn ich Dir meine Schmerzen geklagt hatte, so waren sie mir leichter, und wenn Du mich bedauertest, dann kam ich mir nicht mehr bedauernswert vor. Gewiß ist, daß ich, da ich nur noch verschlossene und falsche Herzen finde, meine ganze Hoffnung auf Dich stütze. Mein Herz kann nicht leben, ohne sich jemand zu offenbaren, und kann es nur mit Dir. Wenn Du mir fehltest und ich angewiesen wäre, allein zu leben, so bin ich sicher, daß es mir unmöglich sein und ich sterben würde. Aber mein Tod würde noch tausendmal grausamer sein, wenn wir fortführen, in Uneinigkeit zu leben, wenn das Vertrauen und die Freundschaft zwischen uns dahin wären. Ach! mein Kind, möge es Gott nicht gefallen, mich zu einem solchen Übermaß von Unglück zu bestimmen!

Es wäre viel besser, sich eine Zeitlang nicht zu sehen, sich dann aufs neue zu lieben und manchmal zu bedauern. Welches Opfer auch von meiner Seite nötig sein mag, Dich glücklich zu machen, es sei, gleichviel um welchen Preis, und ich bin zufrieden.

Ich beschwöre Dich also, meine teure Frau, in Dich zu gehen, Dein Herz genau zu prüfen, ob es nicht besser für uns beide wäre, Deinen Plan, in eine religiöse Gemeinschaft einzutreten, auszuführen, um Dir die Unannehmlichkeiten meiner Launen und mir Deine Kälte zu ersparen, denn in dem gegenwärtigen Zustande der Dinge ist es unmöglich, daß wir unser Glück finden. Ich kann mich nicht anders machen, als ich bin, und ich fürchte, auch Du kannst nichts an Dir ändern. Ich stelle es Dir vollkommen frei, Deinen Zufluchtsort zu wählen und ihn, sobald es Dir gefällt, zu wechseln. Es wird dir an nichts dort fehlen; ich werde mehr für Dich sorgen als für mich selbst. Und sobald unsere Herzen fühlen, wie sehr wir für einander geschaffen sind, sobald sie das Bedürfnis in uns erwecken, uns wieder zu vereinigen, dann werden wir es tun, um in Frieden zu leben und uns gegenseitig bis in den Tod glücklich zu machen. Ich könnte den Gedanken einer ewigen Trennung nicht ertragen und will nur eine, die uns beiden zur Lehre dient. Ich verlange sie nicht, ich fordere sie nicht, aber ich fürchte, sie wird nötig werden. Die Entscheidung überlasse ich Dir und füge mich ihr. Das einzige, was ich verlange, wenn es dazu kommen sollte, ist, daß der Entschluß, den du für geeignet hältst zu fassen, in unserm beiderseitigen Einvernehmen geschieht ... Ich lasse Dir Zeit, alles genau zu erwägen. Überlege Dir während meiner Abwesenheit den Gegenstand des Briefes. Denke an das, was Du Dir selbst schuldig bist, an das, was wir uns seit langem sind, sowie an das, was wir bis ans Ende unserer Tage sein werden, deren größter und schönster Teil vorüber ist, von denen uns nur das Nötige bleibt, um ein unglückliches, aber unschuldiges, ehrbares und tugendhaftes Leben durch ein Ende zu krönen, das uns ehrt und uns ein andauerndes Glück sichert. Wir haben Fehler zu beweinen, aber Gott sei Dank haben wir uns weder Schlechtigkeiten noch Verbrechen vorzuwerfen. Verderben wir uns also durch die Unvorsichtigkeit unserer letzten Tage die Süßigkeit und Reinheit derjenigen nicht, die wir gemeinsam miteinander verlebten.

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