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Herwegh an Emma Siegmund

[Königsberg,] den 4. Dezember 1842.

Mein bester Schatz! Ich komme hier kaum zur Vernunft, zur Gesundheit gar nicht. Glaube mir, ich werde froh sein, wenn ich wieder ein paar Tage ruhig bei Dir zubringen kann. Daß es nur ein paar Tage sind! Daß man erst die verfluchten Pfaffen und tausend andere Geschichten nötig hat, um sich heiraten zu dürfen. Warum soll ich Dich nicht gleich mit mir nehmen? Ist auch Verstand darin? Es wird keine zehn, keine drei Jahre mehr dauern, und es wird eine Menge kleiner Gemeinden geben, die offen ihren Austritt aus dem Christentum und Judentum erklären werden und, da sie nicht länger Heuchler sein wollen, Taufe, Abendmahl und kirchliche Ehe abschwören. Ich kenne z. B. hier schon die Menschen, die das in kürzester Frist zu tun entschlossen sind.

Vorgestern fand mir zu Ehren und zum Schrecken des hiesigen Oberpräsidenten, der in allem Ernste glaubte, sein Schloß solle gestürmt werden, ein großes Festmahl (von zirka 150 Personen; soviel eben Platz hatten) statt, an dem anfänglich auch die Frauen teilnehmen sollten und wollten, was jedoch später unterblieb.

Verse und Prosa die Menge, im ganzen ein guter Geist, und der Philister hingerissen. Crelinger begrüßte mich mit einer guten furibunden Rede, Professor Lengerke mit einem Gedichte. Die Musikanten in königlicher Uniform spielten die Marseillaise, und die Patrioten sind sehr zufrieden. Es soll dies das erste politische Diner gewesen sein, und als solches ist es wirklich gut ausgefallen. Die Polizei hat Respekt bekommen und befohlen, während meiner Anwesenheit niemand zu arretieren, wenn es auch Exzesse geben sollte. Auch Dein Schatz hielt eine Rede und trug die »Lerche« vor; man war höchlich erbaut und begeistert. Auf Dich fielen gleichfalls Toaste: den besten lege ich Dir bei und habe Auftrag, Dich von dem Verfasser zu grüßen. Wie es mich freut, daß man überall auch Deiner gedenkt! Tausenderlei Gerüchte zirkulieren nun natürlich über dieses Diner ...

Laß mich in Danzig und Stettin nicht vergebens nach einem Brief fragen!

Bleibe mir gut, behalte mich lieb!

Grüße alle!

Dein
Georg.

Sonntag früh. Kann ich besseren Gottesdienst halten, als Dir schreiben?

*


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