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Schiller an Lotte von Lengefeld

Weimar, den 14. November 1788.

Dies ist der erste Tag, den ich ohne Sie lebe. Gestern habe ich doch Ihr Haus gesehen und eine Luft mit Ihnen geatmet. Ich kann mir nicht einbilden, daß alle diese schönen seelenvollen Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin sein sollen; daß ich nicht mehr wie diesen Sommer meine Papiere weglege, Feierabend mache und nun hingehe, mit Ihnen mein Leben zu genießen. Nein, ich kann und darf es mir nicht denken, daß Meilen zwischen uns sind. Alles ist mir hier fremd geworden; um Interesse an den Dingen zu schöpfen, muß man das Herz dazu mitbringen, und mein Herz lebt unter Ihnen. Ich scheine mir hier ein abgerissenes Wesen; in der Folge, glaube ich wohl, werden mir einige meiner hiesigen Verbindungen wieder lieb werden, aber meine besten Augenblicke, fürchte ich, werden doch diejenigen sein, wo ich mich des schönen Traums von diesem Sommer erinnere und Plane für den nächstfolgenden mache. Ich fürchte es; denn Wehmut wird sich immer in diese Empfindung mischen, und glücklich ist man doch nicht, wenn man nicht in der Gegenwart leben kann. Ich habe mir die Trennung von Ihnen durch Vernünfteleien zu erleichtern gesucht, aber sie halten die Probe nicht aus, und ich fühle, daß ich einen Verlust an meinem Wesen erlitten habe. Seien Sie mir tausendmal gegrüßt, und empfangen Sie hier meine ganze Seele. Es wird alles wieder so lebendig in mir. Ich darf der Erinnerung nicht nachhängen.

Wie oft habe ich mich gestern nach Ihnen umgesehen, ob Ihr Wagen mir nicht nachkäme – und als ich den Weg nach Erfurt vorbei war, wie schwer fiel mir das aufs Herz, daß Sie mir nun nicht mehr nachkommen könnten. Ich hätte so gern Ihren Wagen noch gesehen.

[Leipzig,] 3. August [1789].

Ist es wahr, teuerste Lotte? darf ich hoffen, daß Karoline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich mir nicht getraute, zu gestehen? O wie schwer ist mir dieses Geheimnis geworden, das ich, solange wir uns kennen, zu bewahren gehabt habe! Oft, als wir noch beisammen lebten, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und kam zu Ihnen mit dem Vorsatz, es Ihnen zu entdecken – aber dieser Mut verließ mich immer. Ich glaubte Eigennutz in meinem Wunsche zu entdecken, ich fürchtete, daß ich nur meine Glückseligkeit dabei vor Augen hätte, und dieser Gedanke scheuchte mich zurück. Konnte ich Ihnen nicht werden, was Sie mir waren, so hätte mein Leiden Sie betrübt, und ich hätte die schöne Harmonie unserer Freundschaft durch mein Geständnis zerstört, ich hätte auch das verloren, was ich hatte, Ihre reine und schwesterliche Freundschaft. Und doch gab es wieder Augenblicke, wo meine Hoffnung auflebte, wo die Glückseligkeit, die wir uns geben konnten, mir über alle, alle Rücksichten erhaben schien, wo ich es sogar für edel hielt, ihr alles übrige zum Opfer zu bringen. Sie konnten ohne mich glücklich sein – aber durch mich nicht unglücklich werden. Dieses fühlte ich lebendig in mir – und darauf baute ich dann meine Hoffnungen. Sie konnten sich einem andern schenken, aber keiner konnte Sie reiner und zärtlicher lieben als ich. Keinem konnte Ihre Glückseligkeit heiliger sein, als sie es mir war und immer sein wird. Mein ganzes Dasein, alles, was in mir lebt, alles, meine Teuerste, widme ich Ihnen, und wenn ich mich zu veredeln strebe, so geschieht es, um Ihrer immer würdiger zu werden, um Sie immer glücklicher zu machen. Vortrefflichkeit der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft und der Liebe. Unsere Freundschaft und Liebe wird unzerreißbar und ewig sein wie die Gefühle, worauf wir sie gründen.

Vergessen Sie jetzt alles, was Ihrem Herzen Zwang auflegen könnte, und lassen Sie nur Ihre Empfindungen reden. Bestätigen Sie, was Karoline mich hoffen ließ. Sagen Sie mir, daß Sie mein sein wollen, und daß meine Glückseligkeit Ihnen kein Opfer kostet. O, versichern Sie mir dieses, und nur mit einem einzigen Wort. Nahe waren sich unsre Herzen schon längst. Lassen Sie auch noch das einzige Fremde hinwegfallen, was sich bisher zwischen uns stellte, und nichts, nichts die freie Mitteilung unserer Seelen stören.

Leben Sie wohl, teuerste Lotte! Ich sehne mich nach einem ruhigen Augenblicke, Ihnen alle Gefühle meines Herzens zu schildern, die in dem langen Zeitraum, daß diese einzige Sehnsucht in meiner Seele lebt, mich glücklich und wieder unglücklich gemacht haben. Wieviel habe ich Ihnen noch zu sagen?

Säumen Sie nicht, meine Unruhe auf immer und ewig zu verbannen. Ich gebe alle Freuden meines Lebens in Ihre Hand. Ach, es ist schon lange, daß ich Sie mir unter keiner andern Gestalt mehr dachte als unter Ihrem Bilde. Leben Sie wohl, meine Teuerste!

*


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