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Lessing an Eva König

Wolfenbüttel, den 8. Januar 1773.

Meine Liebe! Sie sehen wohl, daß ich in meinen üblen Gewohnheiten unverbesserlich bin. Wenn es nicht etwa unter meine guten Gewohnheiten gehört, daß ich schlechterdings an Personen, die ich nur einigermaßen liebe, nicht schreiben kann, wenn ich den Kopf voller Grillen und das Herz voller Galle habe. Daß ich gegen meine beste Freundin hierin eine Ausnahme machen müßte, wird sie vielleicht verlangen. Aber sie wird es aus allzu großer Güte verlangen, die ich lieber nicht zu erkennen als zu mißbrauchen scheinen will. Genug, daß sie auch so schon mehr von meiner Unzufriedenheit erfährt, als ich mir schmeicheln darf, daß zu ihrer eignen Zufriedenheit gut ist. –

Wahrlich, meine Liebe, ich hätte Ihnen mehr Kummer gemacht als erspart, wenn ich Ihnen eher geschrieben hätte als jetzt. Denn nun fange ich eben wieder an, mich aufzuheitern, und noch vor acht Tagen würde Ihnen jedes Wort verraten haben, in welcher unglücklichen Gemütsverfassung ich mich befunden. Ich kann mir es leider nicht länger bergen, daß ich hypochondrischer bin, als ich jemals zu werden geglaubt habe. Dag einzige, was mich noch tröstet, ist dieses, daß ich aus der Erfahrung erkenne, daß meine Hypochondrie wenigstens noch nicht sehr eingewurzelt sein kann. Denn sobald ich aus dem verwünschten Schlosse wieder unter Menschen komme: so geht es wieder eine Weile. Und dann sage ich mir: Warum auch länger auf diesem verwünschten Schlosse bleiben? Wenn ich noch der alte Sperling auf dem Dache wäre, ich wäre schon hundertmal wieder fort. –

Und seit acht Tagen habe ich wohl müssen unter Menschen sein. Zum Neuen Jahre bin ich in Braunschweig bei Hofe gewesen und habe mit andern getan, was zwar nichts hilft, wenn man es tut, aber doch wohl schaden kann, wenn man es beständig unterläßt: ich habe Bücklinge gemacht und das Maul bewegt. – Der einzige Wunsch, bei dem ich diese Zeit über an etwas dachte, war ... Ah, Sie wissen ihn ja wohl, meine Liebe! Sollte denn kein glückliches Jahr mehr für Sie und für mich kommen? –

Noch öfterer hatte ich diese Gedanken, als ich einige Tage darauf, den 6. dieses, auf Z[achariäs] Hochzeit war. Es hielt schwer, ehe ich lustig werden konnte. Aber endlich riß mich das Beispiel fort; und ich ward es, weil es alle waren. Sie kennen Z.; aber doch würden Sie sich schwerlich einbilden können, was das für eine angenehme und in allem Betracht herrliche Hochzeit war. Es fehlte an nichts; und zwanzig Dinge waren da, an die kein Mensch gedacht hätte. Wer alles darauf gewesen, können Sie aus dem Bogen Verse sehen, den ich um das Bewußte gewickelt und gestern auf die fahrende Post gegeben habe. Wir haben bis an den andern Tag geschwärmt; und niemand ist zu Bette gegangen als Braut und Bräutigam. Daß sie auf dem Weghause war, die Hochzeit, versteht sich ...

Leben Sie recht wohl, meine Liebe; denn sonst behalte ich kaum Platz, Ihnen zu sagen, was ich Ihnen zwar nicht mehr sagen sollte: daß ich Sie über alles liebe und in Gedanken tausendmal des Tages umarme.

Der Ihrige auf immer
G. E. L.

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