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Frau Roland an Léonard Buzot

Den 22. Juni 1793.

(Aus dem Gefängnis.)

Wie oft lese ich Deine Zeilen wieder! Ich presse sie an mein Herz, ich bedecke sie mit meinen Küssen. Ich erhoffte keine mehr. Umsonst ließ ich um Nachrichten von Dir bei Frau Cholet fragen, ich schrieb einmal an Herrn Le Tellier in Evreux, damit Du ein Lebenszeichen von mir erhältst, aber die Postverbindung ist unterbrochen.

Ich wollte Dir nichts direkt schicken, weil Dein Name genügt, daß der Brief unterschlagen werde, und ich Dich überdies belasten könnte. Stolz und ruhig kam ich hierher, mit Wünschen für die Verteidiger der Freiheit und einiger Hoffnung für sie. Als ich von dem Haftbefehl hörte, der gegen die Zweiundzwanzig erlassen wurde, rief ich aus: »Mein Vaterland ist verloren!« Ich befand mich in schmerzlichster Angst, bevor ich über Deine Flucht Gewißheit hatte, und der gegen Dich ausgegebene Haftbefehl ängstigt mich von neuem. Sie schulden wohl Deinem Mute diese Scheußlichkeit; seitdem ich weiß, daß Du in Calvados bist, gewinne ich meine Ruhe wieder. Fahre in Deinen edlen Bemühungen fort, mein Freund. Brutus verzweifelte in der Schlacht bei Philippi zu früh an der Rettung Roms. Solange ein Republikaner noch atmet, frei ist, feinen Mut hat, muß, kann er nützlich sein. Der Süden Frankreichs bietet Dir für alle Fälle Zuflucht und wird das Asyl der ehrenhaften Männer sein. Dorthin mußt Du Deine Blicke wenden und Deine Schritte lenken. Dort wirst Du leben müssen, um Deinesgleichen zu dienen und Deine Tugenden zu betätigen.

Ich selbst werde ruhig zu warten wissen, bis die Herrschaft der Gerechtigkeit zurückkehrt, oder werde die letzten Gewalttaten der Tyrannei so auf mich nehmen, daß auch mein Beispiel nicht ohne Nutzen sein wird. Wenn ich etwas gefürchtet habe, so war es nur, Du könntest unüberlegt Dich für mich bemühen.

Mein Freund! Rettest Du unser Vaterland, so bewirkst Du auch mein Heil. Ich werde mein Leben zufrieden aushauchen, wenn ich weiß, daß Du dem Vaterlande erfolgreich dienst. Tod, Qualen, Leiden bedeuten für mich nichts, ich bin allen gewachsen. Sei unbesorgt, ich werde bis zu meiner letzten Stunde leben, ohne auch nur einen Augenblick in der Unruhe unwürdiger Aufregung zu verlieren ...

Unbesorgt! Wir können nicht aufhören, der Gefühle wert zu sein, die wir uns gegenseitig einflößten. So kann man nicht unglücklich werden. Lebe wohl, mein Freund, lebe wohl, mein Vielgeliebter!

*


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