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Goethe

Goethe an Käthchen Schönkopf

Frankfurt, den 1. November 1768.

Meine geliebteste Freundin, noch immer so munter, noch immer so boshaft. So geschickt, das Gute von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmherzig, einen Leidenden auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, alle diese liebenswürdige Grausamkeiten enthält Ihr Brief; und konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?

Ich danke Ihnen für eine so unerwartet schnelle Antwort und bitte Sie auch inskünftige, in angenehmen muntern Stunden an mich zu denken und, wenn es sein kann, an mich zu schreiben; Ihre Lebhaftigkeit, Ihre Munterkeit, Ihren Witz zu sehen, ist mir eine der größten Freuden, er mag so leichtfertig, so bitter sein, als er will.

Was ich für eine Figur gespielt habe, das weiß ich am besten, und was meine Briefe für eine spielen, das kann ich mir vorstellen. Wenn man sich erinnert, wie's andern gegangen ist, so kann man ohne Wahrsagergeist raten, wie's einem gehen wird; ich bin's zufrieden, es ist das gewöhnliche Schicksal der Verstorbenen, daß Überbliebene und Nachkommende auf ihrem Grabe tanzen.

Was macht denn unser Prinzipal, unser Directeur, unser Hofmeister, unser Freund Schönkopf?

Gedenkt er noch manchmal an seinen ersten Acteur, der doch diese Zeit her, in allen Lust- und Trauerspielen, die schweren und beschwerlichen Rollen eines Verliebten und Betrübten so gut, und so natürlich als möglich, vorgestellt hat? Hat sich noch niemand gefunden, der meine Stelle wieder bekleiden möchte, ganz möchte sie wohl nicht wieder besetzt werden; zum Herzog Michel finden Sie eher zehn Acteurs, als zum Don Sassafras einen einzigen. Verstehen Sie mich?

Unsre gute Mama hat mich an Starckens Handbuch erinnern lassen, ich werde es nicht vergessen. Sie haben mich an Gleimen erinnern lassen, ich werde nichts vergessen. Ich denke in Abwesenheit, so gut als gegenwärtig, dem Verlangen derer, die ich liebe, gnüge zu tun. Ihre Bibliothek fällt mir sehr oft ein, ehestens soll sie vermehrt werden, verlassen Sie sich drauf. Halte ich gleich nicht immer, was ich verspreche, so tue ich doch oft mehr, als ich verspreche.

Sie haben recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe; mein hiesiger Aufenthalt ist so unangenehm, als mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen. Wenn Sie mich schelten wollen, so müssen Sie billig sein; Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte; »das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können«, sagt Franziska.

Apropos! was macht unsre Franziska, verträgt sie sich bald mit Justen? Ich denke's. Solange der Wachtmeister noch da war, nun, da dachte sie an ihr Versprechen; jetzt, da er nach Persien ist, eh nun, aus den Augen, aus dem Sinn, da nimmt sie lieber einen Diener, den sie sonst nicht mochte, als gar keinen. Grüßen Sie mir das gute Mädchen. Sie formalisieren sich über das ganze besondere Kompliment an Ihre Nachbarin. Was für Sie übrigbleibt? Was das für eine Frage ist. Sie haben meine ganze Liebe, meine ganze Freundschaft, und das allerbesonderste Kompliment ist doch noch lange nicht der tausendste Teil davon, das wissen Sie auch, ob Sie gleich zur Plage oder Unterhaltung Ihres Briefes getan haben, Z. E. in der Stelle vom Abschied pp., das ich übergehe.

Zeigen Sie diesen Brief und, wenn ich bitten darf, alle meine Briefe, Ihren Eltern, und wenn Sie wollen, Ihren besten Freunden, aber niemand weiter; ich schreibe, wie ich geredet habe, aufrichtig, und dabei wünschte ich, daß es niemand, wer es falsch auslegen könnte, zu sehen kriegte. Ich bin wie immer, unaufhörlich ganz der Ihrige.

G.

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