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Mörike an Margarete von Speeth

Mergentheim, den 29. April 1847.

Heute früh also kam endlich Ihre große, inhaltschwere, von Lieb' und Güte überfließende Sendung. Es werde zuviel des Geschriebenen sein, sagen Sie? Wir haben Ihr Gebot nicht halten können und alles, bei zwei Stunden, in einem Zuge gelesen. Soeben halb elf Uhr wurde das letzte Blatt niedergelegt. Sie haben aber so viel Schmerz erlebt und führten uns – was wir Ihnen nur danken – durch die Anschaulichkeit der Schilderung so tief hinein, daß dieser Eindruck freilich mit dem beglückenden Bewußtsein Ihrer treuen Liebe für jetzt noch alles überflutet, was mich dabei sonst freuen und interessieren kann; mir schwindelt ordentlich, und ich werde Zeit brauchen, bis alles in mir zurechtgebracht ist. Eine jede Beilage und süße Zutat bis zu den drei von Ihrer lieben Hand bezeichneten Kastanien herab vermehrte meine innere Bewegung. Die Ankunft des Uhrchens überraschte mich aufs höchste, weil dieser Ihr Gedanke wunderbar mit einem ganz ähnlichen von mir zusammentraf. Ich hatte dieser Tage nämlich den Einfall, meine Uhr einen Botengang zu Ihnen machen zu lassen, wobei ich mir besonders lieblich dachte, daß sie hier halb von meiner, halb von Klärchens Hand aufgezogen, noch gehend, wie ein lebendiges Wesen, als ein Teil von uns in Ihre trauten Hände kommen würde. Denn ich berechnete und erprobte ausdrücklich, sie geht dreiunddreißig Stunden weniger zehn Minuten; ward sie vor zwölf Uhr mittag kurz vor dem Postabgange hier aufgezogen und erhalten Sie die Pakete am anderen Tag etwa um vier Uhr nachmittags, so wäre ihre Federkraft noch mehrere Stunden lang in ihrer Mergentheimer Spannung, und ließe sich ihr Puls so recht wie Ihres Klärchens und Ihres Eduards eigener Herzschlag hören. Auf das Zifferblatt wollte ich mit kleinen roten Lettern schreiben: Grüß' Gott, grüß' Gott, Gretchen! Ich soll Dir nur geschwind sagen, wieviel Uhr sie jetzt eben in Mergentheim haben und daß meine Stunde stets »363« Minuten zählt. Wäre das nicht nett gewesen? Mich machte dieses kleine Vorhaben auf meinem langweiligen Bett eine Weile ganz glücklich. Bei näherer Erwägung (des Umständlichen nicht nur, sondern auch vielleicht des Auffallenden wegen, das es für Ihre liebe Mutter haben konnte) glaubte ich jedoch, darauf verzichten zu müssen.

*


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