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Adalbert Stifter an Fanny Greipl

Den 20. August 1835.

Liebe teure Freundin! Oberplan ist mir fürchterlich leer, und nur Du allein beschäftigest immer mein Herz – ein unsägliches Gefühl, halb Trauer und halb Seligkeit, ist seit der Vermählung Schifflers mit Marie in mir – zweier Menschen, deren Geschichte so enge mit unserer verbunden ist, und deren Glück so hart mit unserem Unglück kontrastiert, daß ich jenes Gefühls des tiefsten Mitleides mit mir selber seit jenem Hochamte zu Christianberg nicht Meister werden kann. Seitdem weiß ich es, Du liebest mich noch – ich hab' es wohl gesehen, wie Du während der heiligen Handlung etwas zurücktratest, um Dich dem Anblicke zu entziehen, und wie Du später verweinte Augen hattest; meinem Auge, das nur immer Dich suchte, ist es gar nicht entgangen, wie Dein Inneres in schweren, traurigschönen Erinnerungen arbeitete, und mein Herz sagte es mir, daß wir uns in diesem Augenblicke in gleichen Gefühlen begegnen. Du bist ein Engel, den ich nie verdiente, Du hast von Deinen Eltern die unerschöpfliche Herzensgüte geerbt; mein heiliger Engel bist Du, so rein und gut – und ich konnte das an Dir tun, was ich tat! Seit Du sagtest, Du habest dergleichen nicht von mir erwartet, und ich habe Dir erbarmt, seither ist ein Schmerz in mir, so heiß und strafend, daß ich nichts als die Sehnsucht habe: könnte ich doch an Deinem unschuldigen, keuschen Herzen diese Last recht in bitteren Tränen ausweinen, ob's nicht doch Linderung gäbe. Als sie sagten, Du werdest Huber heiraten, fuhr der Geist der Eifersucht in mich, und da wurde der Plan gedacht, Dich und alle Vergangenheit zu vergessen; und weil der Schmerz doch zu nagen nicht aufhörte, so suchte ich, wie es in derlei Fällen immer zu gehen pflegt, in neuer Verbindung das Glück, das die alte erste versagte, und spiegelte dem verwaiseten Gefühle vor: nun bist du ja geliebt und glücklich – ach, und ich war es doch nicht. Es gibt nur eine, eine einzige Liebe, und nach der keine mehr. Gekränkte Eitelkeit war es – zeigen wollt' ich eurem Hause, daß ich doch ein schönes, wohlhabendes und edles Weib zu finden wußte – ach, und hätte über dem Experiment bald mein Herz gebrochen! Je weiter zur Vermählung hin ich es mit Amalien kommen ließ, desto unruhiger und unglücklicher ward ich. Dein Bild stand so rein und mild im Hintergrund vergangener Zeiten; so schön war die Erinnerung und so schmerzlich, daß ich, als ich Amalien das Wort künftiger Ehe gab, nach Hause ging und auf den Kissen meines Bettes unendlich weinte – um Dich. Du warst ja doch immer, trotz meiner vorsätzlichen Selbstverhärtung, die Braut meiner Seele – Du warst doch immer die Heilige, zu der mein besseres Innere betete – und wie oft suchte ich Deine Briefe hervor und las sie alle durch. Erst als ich stark genug war, das neue Band zu zerreißen und ihr alles zu sagen, und aus meiner Selbstquälung zu klarem Entschluß zu kommen – erst da, als Amalie sagte: ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit und achte Sie, daß Sie Ihrer ersten Liebe treu blieben usw., erst dann kehrte wieder ein unendlich süßer Friede in mein Herz, als hättest Du gesagt: ich liebe Dich ja noch und verkenne Dein gutes Herz nicht. Ich habe dies alles nicht etwa gesagt, um mich zu rechtfertigen, nein, sondern mein Benehmen zu erklären. Hätte ich Dein einfaches, schuldloses Gemüt, so hätte ich still geduldet, nicht durch Trotz mein Herz herabgewürdigt und einem andern Wesen Kummer verursacht. Freilich sagen die Leute: Du hattest nichts gegen sie gefehlt, euer Vertrag war ja aufgehoben – als ob ein Herzensbündnis mit Worten zu null gemacht werden könnte! Wäre es von mir bloße Untreue gewesen, warum hätte ich dann plötzlich wieder gebrochen? Als weil mir mein Verstand sagte, ich soll nicht mich und sie unglücklich machen; denn ich liebte sie nicht, und sollte mir ihr Kuß Wohlgefallen sein, so mußte ich mir Deine Lippen dazu denken. – Aber gut, alles ist vorüber, und diese Begebenheit hat neuerdings gezeigt, wie unbesiegbar meine Liebe zu Dir ist, sie ist die letzte Verirrung meines Gefühls gewesen und hat aber das Gute bewirket, daß ich nun sanft und stille sein will und in reiner, schöner Liebe Dein Bild in mir aufhängen und schmücken werde mit der liebreichsten Verehrung immer und immer fort. Ich fühle jetzt schon eine solche Zufriedenheit in mir, wie ich sie seit zwei Jahren nicht gehabt habe, und ich fühle, wie sie immer steigen wird. Nun noch eins: Wenn Du ein Herz, das so hart von seinem wahren Ziele irrte, das aber bereute und umkehrte, nicht verschmähen willst, wenn Deine Güte noch einen Rest alter Liebe und Zärtlichkeit aufbewahrt, so nimm meine Liebe, die ich Dir als eine demütige Gabe anbiete, wieder an und heile meine Wehmut mit freundlicher Zärtlichkeit – ich weiß, was ich Dir dann schuldig bin, und nie, solange ich lebe, soll ein unsanftes Wort Dein Herz betrüben oder eine Handlung Dein Gemüt verletzen. Kein Mann auf Erden liebt Dich mehr als ich, weil Dich keiner mehr kennt als ich – und keiner kann Dich glücklicher machen. Sagst Du ja (und Du wirst es, weil Du so gut bist), so werde ich mit Deinen Eltern reden und ihnen dartun, daß eine Verbindung zwischen uns ganz und gar nicht so ungereimt sei, und um ihre Einwilligung bitten. Sagst Du aber, Du liebest mich nicht mehr, so will ich es leiden, wie auch das Herz wehe tue, und will nur allein Dich zur Braut meiner Ideen machen und Dich fortlieben bis an meinen Tod. Ich schrieb dies alles, weil ich fürchte, daß zu einer Unterredung keine Zeit ist. Übrigens will ich keineswegs, daß dieses Blatt ein Geheimnis bleibe zwischen uns, im Gegenteil, berate Dich mit Deiner Mutter und bitte sie, daß sie mit mir rede.

Lebe wohl, ich bin ewig
Dein Dich innigst liebender Freund
A. Stifter.

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