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Sophie von Mounier an Mirabeau

Am 10. Dezember 1778.

»O mein guter Freund, Du gibst mir das Leben wieder durch die Hoffnung, die Dir wiedergekehrt ist; ohne Zweifel ist sie sehr begründet, da sie die Güte des Herrn Le Noir zur Grundlage hat; ich weiß auch, daß Du Dir nicht leicht schmeichelst, daß Du nicht wie ich Deine Hoffnungen an demselben Tage entstehen und vergehen siehst; deshalb hege ich das größte Vertrauen dazu. O mein Freund, wäre es denn wirklich wahr, daß Du frei wirst, und daß wir uns Wiedersehen sollen? Sei es, und ich genieße schon drei Vierteile meiner Freiheit. Aber ich habe sie oft so entfernt gesehen, daß ich doch fürchtete, der Ekel am Leben gewänne zuletzt die Oberhand. Ich sah, wie Du in Deinem letzten Brief den Tod riefest, ich sah schon, wie er uns zärtlich trennte, ehe wir wieder vereinigt waren ... Gabriel, ich habe heiße Tränen dabei vergossen. Alles verband sich in dem Schreiben; unter dem Vorwande, mit mir von Tibull zu reden, sagtest Du mir so traurige Dinge. Ich glaubte, Du hättest die Gewißheit, daß wir uns nicht Wiedersehen würden; je mehr ich das Heft durchlas, desto mehr fand ich das in jeder Zeile. Ach, sagte ich, Gabriel hatte mir so oft gesagt, daß er nicht möchte für mich nicht gelitten haben, und er verliert den Mut! Er will den Schmerz nicht länger ertragen; die Vernichtung scheint ihm jetzt das beste; er hat also den Tag vergessen, wo ich, als ich nicht glaubte, ich würde noch zwei Stunden leben, in den Konvulsionen der Verzweiflung ihm zurief: »Wie, Gabriel, sterben, ohne Dich zu sehen!« Damals ergab er sich! mein Freund hat sich nicht geändert. Welche Opfer hat er nicht der Liebe gebracht! Wird er dies noch bringen? Ja, er wird für mich und meine Tochter leben; ich will ihn darum bitten, und er wird es mir nicht verweigern; denn er hat mir nie etwas verweigert. Ich wollte Dich also heute, als um die einzige Gnade, darum anflehen; aber Du bewilligst es mir schon so. Ja, mein Freund, wir werden uns Wiedersehen, ich glaube es, weil Du mir es sagst; was würde ich nicht glauben, wenn Du es mir versicherst! Wir werden wieder glücklich sein. Du erinnerst Dich gewiß, wie ich einst zu Dir sagte: »Muß gestorben sein, so soll es nicht geschehen, ehe ich meinen Freund in meine Arme geschlossen, an mein Herz gedrückt habe. Ach, eine Stunde bei ihm sein, und dann sterben!« – Jetzt würde ich dasselbe sagen; aber jetzt müssen wir zusammen leben; denn wir sind uns weit mehr Schonung schuldig; wir müssen für unser Kind leben, das uns so teuer ist.

Mein Freund, ich werde Mut haben, solange ich weiß, daß Du Mut hast; sehe ich ihn aber bei Dir erlöschen, wie soll ich dann den meinigen erhalten? So niedergeschlagen, wie ich Dir auch erschien, ich bin es doch nicht vor den Augen der ganzen Welt, und es gibt Leute, die da wollten, ich wäre es mehr. Ich habe vermieden, von Dir zu reden, seitdem Du es mir rietest, um so mehr, als es nur beständig dazu diente, die Bitterkeit zu steigern. Aber Demütigung! nein, ich finde mich nicht gedemütigt; meine Liebe und mein Geliebter sind im Gegenteil mein ganzer Ruhm. Wer alles opfert, würde tausendmal mehr opfern, indem er glaubt, nichts getan zu haben. Ja, ich sage mit Rousseaus Heloise (aber ich habe es schon gesagt und geschrieben, ehe ich sie gelesen): ich will lieber, daß die ganze Welt meine Liebe wisse, als daß Du einen Augenblick daran zweifelst. Unsere Leiden haben unsere Bande und unsere Neigung verhundertfacht. O wie glücklich und kurz werden die Tage sein, die wir zusammen verbringen! Wenn unser Reichtum an Gefühl und unsere Leiden hat mehr empfinden lassen, so verdoppelt er auch unseren Mut, indem er, wie wir es müssen, den Zauber einer Vereinigung würdigt. Wir sind die unglücklichsten Wesen, wir werden die glücklichsten sein; doch unsere Liebe bedurfte keiner Probe ...

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