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Hermann Gilm an Josephine Kogler

Innsbruck, den 1. Oktober 1838.

Liebe Pepi! Jahrhunderte früher war ein lustiges Leben in dem Schlosse [Ambras], die Liebe bewohnte es, die schöne Philippine [Welser] harrte dort den schönsten Stunden ihres Lebens, und mancher Baum könnte vielleicht erzählen von Lockenspiel und von aufgeküßten Tränen, und jetzt – die Zeit treibt einen bitteren Scherz mit den Freuden der Menschen, die Natur hat kein Mitgefühl und keine Erinnerung für sie. –

Du warst schön gestern, zart und rein wie eine Wasserlilie, wenn sie hervortaucht aus der kristallenen Flut zur Freude und zur Liebe, und es hingen graue Wolken um die Berge, sie saßen da wie alte Spinnerinnen in kalten Wintertagen, und der Himmel sah so löschpapieren langweilig herab, und in der Ferne brauste es wie Sturm, mir ist fast bange geworden um die liebe Maiglocke, die still sinnend an meinem Arme hing. In uns war blauer Himmel und Freude, und draußen höhnte uns die Natur mit dem Bilde der Verwesung; in uns keimten des Frühlings Blumen wieder, und draußen riß es den Schmuck der Bäume herab – und ein anderesmal, wenn es Nacht war in meiner Seele, wenn Du liebes, sanftes, gutes Wesen nicht bei mir warst und mir die Sehnsucht die Augen schloß, damit ich ungestört Dein Bild denken, den Druck, den unvergleichlich zarten Druck Deiner Hand nachempfinden konnte, da jubelte die Natur, da lächelte sie herab auf ihre blühenden Gefilde, da fuhren die rosigen Wolken wie goldene Kähne der sinkenden Sonne zu, da schlug es so rührend, so lieblich in Busch und Baum, o die Natur hat kein Auge für des Menschen Schmerz und für seine Freude. –

Ich danke Dir, Deinen Eltern und dem lieben Gott für den gestrigen Tag; ein Sonnenstrahl, ein Blick hinaus ins Grün kann für einen in Kerkernacht Begrabenen nicht mehr Balsam fein, als es für mich der gestrige Tag war; all die Bitterkeit, die der lange Schmerz in meiner Brust häufte, zerrann an Deinem Auge, und nur um eins hätte ich Gott noch bitten mögen – um eine Freudenträne. –

Du lächeltest wieder, aber Dein Lächeln ist nicht wie ehedem, es ist nicht mehr die Seele, wie sie in der ersten jungen Frühlingsseligkeit Dir auf das Antlitz trat, es sind zwar noch die alten lieben Blumen, aber aus dem duftenden Rahmen schaut die Wehmut, und es liegt der Tau auf ihnen, o daß es Morgentau wäre, Morgentau, der der Rose den Schlaf aus den Augen wäscht, und nicht der Abendtau, der so leicht die zarte Farbe einer Blume tötet. –

Gute Nacht, meine Liebe, möge ich Dir in einem freundlichen Bilde erscheinen, daß ich neben Dir stehen kann, wenn Du mit Deinem Vater im Himmel redest. –

Dein Hermann.

*


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