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Eduard Mörike an Luise Rau

Ochsenwang, d. 25. März [18]32. Sonntag nachmittag.

Liebstes, einziges Herzchen! Eben komm' ich von der Kinderlehr'; ich habe kaum den Kirchenrock und die Stiefel abgezogen, so sitz' ich schon wieder an meinem treuen Pult, wo die Beantwortung dreier Briefe auf mich wartet und wiederum einmal eine starke Korrektur. – Eigentlich sollte dieser Quark zuerst beseitigt sein, eh' ich mit rechter Lust Sinn und Gemüt nach Dir hinrichte. Doch sehn' ich mich darnach wie nach einem frischen Trunke zwischen der Arbeit.

Der Winter liegt uns wieder seit heute nacht vor den Fenstern, die Sonne möchte gern scheinen und kann nicht, ein Vögelein singt auf dem nächsten Baum vor meiner Kammer:

Das ist nur Märzenschnee,
Der tut mir gar nicht weh;
Frühling ist nimmer weit,
Großmutter sagt' es heut.

Frühling und Liebe, das ist doch gewißlich wahr, stehn in einer Wahlverwandtschaft, die ich schon wieder durch alle Nerven spüre. Warum warst Du mein erster Gedanke, als gestern ein Kind uns einen Strauß frischer Schneeglöckchen brachte? – Sie stehen hier bei meinem Schreibzeug, und ich pflücke Dir eins, eh' ich den Brief nachher zusammenlege; eigentlich kommt es mir vor, als wollten sie alle zu Dir hin und seien nur für Dich gewachsen. Das Mädchen fand sie unter den Felsen des Breitensteins. Wäre es nicht möglich, daß eine süße magische Erschütterung den Fels durchzuckt hätte, als Du neulich Deinen Fuß dort aufsetztest, und daß diese Knospen in jenem Augenblick zum erstenmal sich öffneten? In Nürtingen neulich sah ich die ersten Veilchen, die Tante steckte sie mir auf den Hut. So reiste ich recht unterm Frühlingssegen; die Sonne brach einmal recht lebhaft vor, als wir vor N. drauß waren, und ein Storch flog einmal über dem Gefährt weg. Erst in Nürtingen eigentlich war ich recht wach geworden. Der Weg von Grötzingen bis dahin flog mit Feld und Baum, mit Fluß und Häusern, nur wie ein Bild, wie der Schein einer wirklichen Welt an mir und unter mir weg – die paar Minuten in des lieben Denks Hause ausgenommen. – Es war eine dunkelsüße Flut unbestimmt ineinanderfließender Gedanken, auf welcher Dein Bildnis in aller Anmut der Gebärde, in allen Lagen der Vergangenheit, zuletzt auch gar der süßen hoffnungsreichen Zukunft, tausendgestaltig sich vor mir bewegte. Du könntest mich phantastisch nennen und an der Einfalt meiner Liebe zweifeln, wenn ich mit all den bunten Farben Dir beschreiben wollte, in was für Zaubergärten ich mit Dir, von seliger Wehmut wie mit berauschendem Blütenduft überschüttet, mich hin und wieder ziehen ließ. – Es gibt für mich kaum einen reizendern Genuß in der Liebe als eben dies Gemisch von Wohl und Weh, wo die dämmernde Wolke so eines Abschieds den vollen Glanz des himmlischen Bewußtseins überschleiert, wie ganz, wie eigen man einander habe! ...

Ich schließe nun und drücke Dich ans Herz: Du könntest's fühlen, wie!

Ewig und ganz Dein Eduard.

Laß mich bald auch ein Wörtchen von Dir sehen! Bald! ...

Ochsenwang, den 12. August 1832. Nachts vor Schlafengehn.

Ach, liebstes, einziges Herz, wenn es bald wahr und wirklich werden sollte, was ich seit einiger Zeit oft stundenlange wachend träume: mit Dir im häuslichen Eigentum wohnen, mit Dir jede Stunde teilen zu dürfen! Was für ein neues Leben, wovon ich jetzt nur eine leise, fast ängstlich-selige Ahnung habe, wird sich uns entfalten! Oft ist mir, ich müsse mich vor dieser überglücklichen Vorstellung hüten, damit mir nicht die zwischenliegende Zeit zu schal und matt und unleidlich erscheine. Schreib' mir, mein süßes Kind, in Deinem Nächsten auch ein wenig von dieser lieblichen Materie! ...

Leb' wohl, mein Bestes, und gesund! Und denke, jeden Augenblick sei ich im Geist um Dich! Du mußt's fast fühlen.

Zum Schlusse noch: September wird bald sein, der führt uns wieder zusammen. Leb' wohl! Grüße die Lieben!

Ich bin Dein ewig treuer Eduard.

*


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