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Alexander Herzen an Natalie

Wiatka, den 12. Februar 1836.

Mein Engel, Natascha, ich ertrinke, ich ertrinke in diesem Meer von Liebe; seine Wellen sind hell und durchsichtig, ganz tief und weit ist es. Natascha, Gott hat Dich mir geschickt. Er wußte, daß meine Seele unter den Menschen leiden wird: daß ich in Verhältnisse kommen werde, die mich quälen, und es tat ihm leid, und er schickte Dich. Alles wurde besser, alles, noch mehr, für ein Unglück, das vorübergehen wird, schickte er mir Seligkeit für mein ganzes Leben. Meine Freundin, meine Brust ist schwach, sie möchte sich spalten, um Dich noch mehr zu lieben.

Ich wußte ja fast, was Du mir schreiben würdest: doch in welchem Zustande war ich, als ich Deine letzten Briefe las. Ich zitterte, ich erschrak vor meinem Glück, ich konnte nicht zu mir kommen. Ich verstehe, ich verstehe Deine Gefühle vor meinem Bilde. Schade, daß Du nicht allein warst. Wie sollte es auch nicht ähnlich sein. Wittberg sah nicht mein Gesicht allein, er sah auch die Seele, er kennt sie, und darum ist mein Bild belebt.

Doch warum lobst Du mich so in Deinen Briefen, Natascha! Es ist mir peinlich, das zu lesen. Ich versichre Dich, nur in Deiner himmlischen, göttlichen Seele spiegle ich mich so. Meine Seele ist an vielen Stellen befleckt, mein Charakter ist vielfach verdorben und gebrochen. Liebe mich so, wie ich bin, lieb' mich mit meinen Mängeln, Natascha, und sprich mir von dieser Liebe. Kann es denn für mein Herz mehr Lob geben als Deine Liebe, kann mir irgendein anderes Lob verständlicher sein? Aber gib mir nicht mehr, als in meiner Seele ist, damit Du nicht nachher mit Schmerzen sehen mußt, was ihr alles fehlt. Ein Künstler sieht sein Werk nur mit Bitterkeit an, wenn es sein Ideal nicht erreicht. Doch was ist ein Werk für einen Künstler? Ein Gedanke, eine Phantasie, schon drängen sich neue in seinem Kopf. Doch so lieben, wie Du mich liebst, das kann man nur einmal. Es wäre furchtbar, wenn Du Dein Ideal nicht erfüllt sähest, nicht ein Gedanke, die ganze Seele, das ganze Leben wären verloren. Natascha, blicke Deinen Alexander an, gib ihm nichts, was ihm nicht zukommt, wirf die Ideale fort, in die Du einen Teil von mir und einen Teil des Himmels zusammenbrachtest, der in Deiner hohen Seele ist, was soll Dir dieses Ideal? Nimm mich irdisch, liebe mich, ich gebe mich Dir, mehr kann ich nicht tun. Ja, ich möchte ein Engel sein, um diese Gabe kostbarer zu machen, doch ich bin ein Mensch und von Vollkommenheit weit entfernt. Diese feurigen Leidenschaften selber, die meine Brust versengen, die mich zum Schönen, zum Großen leiten, sie bringen mich auch oft zur Sünde ... ich bereue es dann, doch ich habe nicht die Kraft, ihnen gleich zu widerstehen. Jetzt wird meine Liebe zu Dir der sittliche Beginn meines Lebens sein. So kam Beatrice als Engel aus dem Paradies zu Dante, um ihn aus den Niederungen des unaufhörlichen Grams an die Stätte der Freude zu führen.

O! Natascha, auch Du bist so ein Engel! Nein, alle meine Ideale sind vor Dir erblaßt, verschwunden. Mein Gott, womit verdiene ich dieses Glück! Womit, mit was für Unglück soll ich der Erde dafür zahlen, daß ich schon hier die höchste Seligkeit erreicht habe?

Leb' wohl.

Dein Alexander.

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